Lena Cassel zählt zu den bekanntesten Sportmoderatorinnen im deutschen Fernsehen. Der Weg dorthin war lang, wie sie nun bei t-online verrät. „Zu laut und zu bunt“: Eigentlich stand Lena Cassel laut ihres früheren Sportchefs für alles, was in der TV-Branche nicht funktionieren würde. Sie strahle mehr als der Gast – was schließlich vor einer Kamera unmöglich zu tragen wäre. Und trotzdem hat sich die 30-Jährige durchgesetzt, präsentiert seit drei Jahren die Highlightshows der Champions League bei Prime und moderiert beim Streamingdienst DAZN. Cassel nimmt kein Blatt vor den Mund, weiß um ihre starke Meinung und direkte Art – und entwickelte sich so zum deutschen Medienstar. „Es steckt sehr viel Didi Hamann in mir, weil ich mich dazu hinreißen lasse, die eine oder andere gewagte These nach außen zu sagen“, erklärte die gebürtige Kölnerin nun im Interview mit t-online. Zeitgleich hoffe Cassel, dass sie auch mit Eigenschaften von Esther Sedlaczek und Jessy Wellmer verbunden werde: „Ich empfinde sie auf Augenhöhe, durchdacht, differenziert und angenehm.“ Doch der Weg an die Spitze war steinig. Neben ihren Erfahrungen bei der „Sportschau“, „stern TV“ und „Hertha TV“ gab es auch Momente, die der 30-Jährigen die Augen öffneten und ihr dabei halfen, zu der Frau heranzuwachsen, die sie heute ist. In ihrer Autobiografie „Aufstiegskampf“ verriet sie nun, mit welchen Herausforderungen sie zu kämpfen hatte und was sie lernen musste. Mit t-online hat Lena Cassel darüber gesprochen. Frau Cassel, wie stehen Sie zu dem Namen Ernie? Lena Cassel: Ah, die Geschichte… Sie erzählen in Ihrem Buch, wie Sie für „stern TV“ einmal einem Nilpferd mit dem Namen Ernie mit einer Zahnbürste die Zähne putzen sollten. Für Sie war das sowohl Ende als auch Neuanfang. Was finde ich rückblickend schlimmer? Dass ich dem Nilpferd die Zähne geputzt habe oder dass mein ehemaliger Chef bei der Sportschau gesagt hat, dass ich zu laut und zu bunt sei? Ich denke, ich fand Ernie wesentlich schlimmer, weil es in einer Phase in meinem Leben war, wo es mir echt nicht gut ging, wo ich kapituliert habe, weil ich immer zu allem Ja gesagt habe – und nicht auch mal Nein. Das klingt dramatisch. Ja, ich wollte immer etwas mit Fußball machen. Nur hatte das überhaupt nichts mehr mit Fußball zu tun. Ich habe durch die Geschichte im Zoo gemerkt, dass ich vom Weg abgekommen bin und meinen Gradmesser verloren habe. Ich stellte mir die Frage: Wo gehöre ich hin? Das war mit einer der Gründe, warum ich dann von Köln nach Berlin gezogen bin. Stört es Sie, dass Sie immer wieder auf die Geschichte mit dem Nilpferd Ernie angesprochen werden? Nein, ich habe die Geschichten, die ich in meinem Buch erzähle, bewusst ausgewählt, weil ich glaube, dass sie stellvertretend für etwas stehen können. Ich habe lange überlegt, was eigentlich erzählenswert an meiner Geschichte ist. Dazu gehörte nun mal Ernie – und auch der Sportschau-Chef, der mich zu laut und zu bunt fand. Was hat diese Aussage mit Ihnen gemacht? Es war nicht förderlich, dass mir damals mit 21 Jahren ein etwas älterer Herr sagte, dass ich zu sehr dies und zu sehr das bin. Oder dass ich in deren Welt nicht reinpassen würde. Ich habe erst im Verlauf der vergangenen Jahre gemerkt, was das für ein Ausmaß hat. Ich hatte das damals auch niemandem erzählt, habe darüber hinweggesehen. Erst jetzt begreife ich, dass das schon ein Ursprung war, dass ich so geworden bin, wie ich jetzt bin. Fühlen Sie sich heute gefestigter? Ich habe schon das Gefühl, dass ich selbstbewusster, lauter, meinungsstärker sein muss, als ich eigentlich bin. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich einfach sein kann, wie ich bin. Das ist vielleicht so eine Krankheit von Aufsteigerkindern, weil man meint, nur so gesehen werden zu können. Welche Kämpfe müssen Sie mit sich selbst ausfechten? Ich kann manchmal vor Sendungen nicht einschlafen, weil ich den Anspruch habe, mehr als gut zu sein. Nicht nur, weil ich oftmals stellvertretend für viele andere Frauen in Talkshows sitze oder Sendungen moderiere. Es geht auch um die Tragweite, da sehe ich schon eine Verantwortung. Das ist Druck, den ich mir selbst mache, weil ich nicht versagen will, weil der Job in den vergangenen Jahren meine Konstante war. Da war ich immer richtig gut, das war das, was stabil war. Und darauf will ich mich auch in Zukunft verlassen können. In einem Interview vor sieben Jahren wurde ich gefragt, was mein persönliches Lebensziel sei. Meine Antwort war: frei und unabhängig sein. Aber das bin ich noch nicht. Ich bin immer noch getrieben und habe das Gefühl, ich arbeite gegen etwas und nicht ausschließlich für etwas. Das würde ich natürlich gerne eines Tages loswerden. Lassen Sie sich von Hasskommentaren im Internet verunsichern? Inwiefern haben Sie damit schon schlechte Erfahrungen gemacht? Damit muss man vorsichtig sein, so etwas kann natürlich extrem verunsichern, weil das oftmals nicht die abgebildete Realität ist und eventuell das eigentliche Meinungsbild verzerrt. Ich lese aber alles, und gerade, wenn es inhaltliche Kritik ist, setze ich mich gerne damit auseinander und antworte darauf auch. Allerdings mache ich das nur zu bestimmten Zeiten, wenn ich mich auch dafür gestärkt sehe. Über die dummen Kommentare kann ich hinwegsehen, das tangiert mich nicht. Sehen Sie einen Unterschied zu männlichen Kollegen? Ich glaube, die Frequenz an negativen Kommentaren ist gleich. Gerade Experten wie Didi Hamann oder Lothar Matthäus bekommen auch ihr Fett weg. Der Unterschied liegt in der Art der Kommentare. Die zielen nicht auf das Geschlecht ab, bei Frauen schon. Deswegen sage ich: Negative Kommentare sind okay, aber bitte nicht aufgrund meines Geschlechts. Nationalspielerin Lena Oberdorf hat mit Aussagen über Spanner im Fußball Aufsehen erregt. Die Theorie: Frauen stehen nach einem Foul schneller als Männer auf, „weil da ganz viele Leute so ranzoomen, wenn man liegt“. Was sagen Sie dazu? Das ist heftig. Aber das Schlimme ist, es schockt mich eigentlich gar nicht mehr, weil es natürlich die Tendenzen gibt, dass Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, primär sexualisiert werden. Ich kann mich daran erinnern, dass Sepp Blatter, ehemaliger Fifa-Chef, mal in einem Interview gesagt hat: „Wenn man will, dass der Frauenfußball attraktiver wird, dann sollten die Hosen einfach ein bisschen kürzer sein, so wie beim Volleyball.“ Das wirkt wie eine Äußerung aus dem 19. Jahrhundert und ist erst ein paar Jahre her. Der Typ war Fifa-Chef. Was muss sich konkret ändern? Wir leben nach wie vor in einer Gesellschaft, wo Frauen sehr oft sexualisiert werden. Und genau das muss angesprochen werden. Das darf nicht tabuisiert werden. Die Scham muss die Seite wechseln. Das ist etwas, was wir uns alle hinter die Ohren schreiben sollten. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir das Thema Gleichberechtigung oder den Schutz von Frauen so in den Vordergrund stellen, wie man sich das wünschen würde. Da braucht man nur mal in das Innenleben einer jeden Frau in dieser Gesellschaft reinhören. Das ist tagtäglich Thema. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Wie oft erlebe ich, dass aus einer Männergruppe heraus gepfiffen wird. Erst recht, wenn ich mit meiner Freundin Hand in Hand über die Straße laufe. Kommentare, wie „darf ich mitmachen?“ oder Ähnliches hörst du dann andauernd. Deswegen sage ich klar, dass die Gesellschaft daran noch arbeiten muss. Wir würden zum Ende des Interviews gern noch über Ihren Schutzengel sprechen. In Ihrem Buch schreiben Sie: „Der Schutzengel, der mich in seine Obhut nahm, hatte keinen Heiligenschein, sondern trug ein blau-weißes Trikot.“ Es geht um den Berliner Zweitligisten Hertha BSC . Manchmal gibt es den Verein, der dir in die Wiege gelegt worden ist. Manchmal gibt es aber auch den Verein, der irgendwann dein Herz erobert, weil da dein Lieblingsspieler gespielt hat oder dein Lieblingstrainer war. Und dann gibt es manchmal Vereine, die wie aus dem Nichts kommen, mit denen du gar nicht gerechnet hast. Und das ist bei mir Hertha BSC gewesen. Was ist das Besondere an der Beziehung zu diesem Klub? Ich werde oft gefragt, welches Kapitel das Emotionalste in meinem Buch ist. Es ist „Ha Ho He – Hertha BSC“. Das klingt jetzt nach sehr viel Pathos. Aber ich bin zu Hertha gekommen, als ich am Nullpunkt war – genau wie der Klub damals. Wir beide hatten keine Identifikation und wussten nicht, wo es hingehen soll. Bei Hertha BSC durfte ich genau so sein, wie ich bin. Die haben mir einfach ein Mikrofon in die Hand gedrückt und gesagt, ich soll machen. Dafür werde ich diesem Verein ewig dankbar sein.