Deutschland verliert 0:2 gegen Frankreich und zeigt dabei altbekannte Schwächen – wieder einmal. Auf eine Frage gibt es nun aber endgültig eine – ernüchternde – Antwort, meint t-online-Kolumnist Stefan Effenberg. Es ist langsam wirklich ein wiederkehrendes Muster in den Spielen der deutschen Nationalmannschaft, das wir nun auch beim 0:2 im Spiel um den dritten Platz der Nations League gegen Frankreich gesehen haben: Zwei komplett unterschiedliche Halbzeiten hat die DFB-Elf am Sonntagnachmittag in Stuttgart gezeigt, genau wie zuvor im Halbfinale gegen Portugal oder im März in den zwei mitreißenden Spielen gegen Italien . Die erste Erkenntnis bleibt daher: 45 gute bis starke Minuten reichen einfach nicht auf diesem Niveau. Die zweite und fatalere Erkenntnis ist aber: Die deutsche Mannschaft ist gegen große Gegner wie Frankreich, Portugal oder Spanien einfach nicht zu mehr in der Lage. Und von der Weltspitze doch noch ein Stückchen weiter entfernt als gedacht. Die erste Halbzeit gegen Frankreich war wirklich gut, die deutsche Mannschaft spielte sich fast im Minutentakt Chancen heraus, hätte sich die Führung verdient gehabt, hätte in Führung gehen müssen – und dann kam kurz vor der Halbzeitpause das 0:1. Das hat den Gästen für den weiteren Spielverlauf voll in die Karten gespielt. Frankreichs Trainer Didier Deschamps hat den Luxus, Spieler wie Desiré Doué oder Bayerns Michael Olise noch von der Bank bringen zu können – und diese Möglichkeiten haben wir nicht, das müssen wir uns eingestehen. Wir haben aktuell nicht die Möglichkeiten wie Frankreich Denn wenn sich etwas bewahrheitet hat in diesen letzten Auftritten der deutschen Mannschaft vor der Sommerpause, dann die Feststellung, die Kapitän Joshua Kimmich schon nach dem 1:2 gegen Portugal getroffen hat und auch von Bundestrainer Julian Nagelsmann nun bestätigt wurde: Nur wenn bei uns alles zusammenläuft, alle fit und in Top-Form sind, dann haben wir ein starkes Team, das in der Spitze mithalten kann. Aber auch nur dann. Denn wir haben aktuell nicht die Optionen, von der Ersatzbank oder darüber hinaus noch mit Spielern auf höchstem Level nachzulegen. Das reicht einfach nicht aus. Und da haben wir noch einen Weg vor uns. Jetzt haben Bundestrainer Julian Nagelsmann und sein Trainerstab noch ein Jahr Zeit bis zur WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko, um genau diese Schwächen, diese Leistungsschwankungen in den Griff zu bekommen, damit Deutschland auch über 80, 90 Minuten das zeigen kann, was es aktuell nur in der Hälfte der Zeit zu zeigen imstande ist. Er hat nun zwei Aufgaben: Er muss erkennen, woher diese plötzlichen Einbrüche kommen, und dann die Lösung finden. Und da habe ich volles Vertrauen in ihn. Eine Aussage des Bundestrainers nach dem Spiel hat mich aber enorm irritiert: Auf die Frage bei DAZN, warum gerade die Offensivkräfte in der zweiten Halbzeit nicht mehr so recht ins Gegenpressing gekommen seien, antwortete Nagelsmann: Nach der intensiven ersten Hälfte seien ein paar seiner Akteure „müde“ gewesen. „Dann hast du so ein bisschen das Gefühl: Heute können wir noch lange spielen, und es passiert kein Tor. Da verlierst du so ein bisschen den Glauben in der einen oder anderen Situation“, erklärte Nagelsmann weiter. Ich weiß nicht, was ihn da geritten hat. Diesen Satz möchte ich von ihm nicht noch einmal hören. Denn den Glauben solltest du niemals verlieren, unter keinen Umständen – und erst recht nicht nach so einer ersten Halbzeit, in der einzig die Chancenverwertung nicht passte. Es hätte auch 0:3 oder 0:4 ausgehen können Im Gegenteil hätte die deutsche Mannschaft die Leistung im ersten Durchgang als Ansporn, als Motivation nehmen müssen, genau so nach der Pause weiterzumachen. Dass sich Nagelsmann aber zu diesem Satz hat hinreißen lassen – das kann auf keinen Fall die richtige Ansprache an seine Spieler sein, und so eine Entschuldigung darf er ihnen auch nicht bieten. Er hat doch selbst im Vorfeld deutlich davon gesprochen, die Nations League gewinnen zu wollen, bei der WM um den Titel mitspielen zu wollen – und jetzt dann so eine Andeutung. Da widerspricht sich der Bundestrainer selbst. So aber hat die DFB-Elf in der zweiten Halbzeit völlig den Faden verloren, ist eingebrochen – und ein Gegner wie Frankreich nutzt das gnadenlos aus. Denn so ehrlich muss man sein: Wenn es nach der Qualität der Chancen geht, hätte die Partie aus deutscher Sicht am Ende auch 0:3 oder 0:4 ausgehen können. Denn Frankreich hatte nach dem Seitenwechsel eine Vielzahl bester Möglichkeiten. Zwei Szenen in der Partie sorgten aus deutscher Sicht für Aufregung: Der von Schiedsrichter Ivan Kružliak erst gegebene, dann nach VAR-Sichtung annullierte Elfmeter an Karim Adeyemi und das Foul an Niclas Füllkrug vor dem vermeintlichen Tor zum 1:1, das dadurch dann auch zurückgenommen wurde. Für mich waren beide Entscheidungen absolut richtig. Adeyemi, der für seine Schwalbe nachträglich richtigerweise auch noch Gelb sah, sagte nach dem Spiel: „In der Bundesliga ist es das Gleiche, da bekomme ich auch keine Elfmeter mehr.“ Das stimmt so nicht, er bekommt natürlich noch Elfmeter für sich gepfiffen – wenn sie denn auch wirklich welche sind. Auch im Trikot von Borussia Dortmund aber ist Adeyemi durchaus bereits mit der einen oder anderen Schwalbe negativ aufgefallen. Gerade das ist doch der Sinn des VAR Auch die Szene mit Niclas Füllkrug, der Frankreichs Adrien Rabiot wegrempelte und damit den Ballgewinn vor dem dann annullierten Tor durch Deniz Undav provozierte, wurde vom Unparteiischen richtig bewertet. Es ist verständlich, dass da aus deutscher Sicht diskutiert wird, aber nach der ersten Aufregung muss eingesehen werden, dass beide Entscheidungen richtig waren. Dass sich Nagelsmann danach über die Füllkrug-Szene in Rage redete und kritisierte, „das ist nicht der Sinn des VAR“, ist daher zwar in der Erregung nachvollziehbar, aber unnötig – denn ich sage: Gerade das ist doch der Sinn des VAR, dort einzuschreiten und den Schiedsrichter, so überzeugt er von seiner eigenen Entscheidung auch gewesen sein mag, darauf hinzuweisen. Ich muss aber auch noch ein großes Lob aussprechen: Es freut mich einfach sehr für Marc-André ter Stegen , dass er nach dieser von einer langen Verletzungspause überschatteten Saison schon wieder in dieser bestechenden Form ist. Das ist wirklich aller Ehren wert. Gegen Frankreich war er es nämlich, der Deutschland mit zahlreichen starken Paraden vor Schlimmerem bewahrt hat. Wenn die DFB-Elf auf einer Position keine Baustelle hat, dann im Tor. Daher kann ich auch nur den Kopf schütteln, sollte sich der FC Barcelona , wie aktuell berichtet, tatsächlich von ihm trennen wollen. Sollte es tatsächlich zum Abschied von den Katalanen kommen, kann ich jeden Verein, der ter Stegen verpflichtet, nur beglückwünschen. Eine Bundesliga-Rückkehr kann ich mir bei ihm aber bei bestem Willen nicht vorstellen. Trotzdem: Das ist für mich eine absolut unverständliche Diskussion. Es wäre nur richtig und vernünftig aus Sicht von Barcelona, weiter auf diesen Torwart zu setzen – nicht, weil er in den vergangenen elf Jahren viel geleistet hat für diesen Klub. Sondern weil er schon jetzt wieder zeigt, dass er noch immer zu den besten seines Fachs gehört.