Verletzung im Leistungssport: Lisa Mayer, Alexander Schmid mit Einblicken

Verletzungen gehören zum Leistungssport. Doch was durchlebt ein Sportler, wenn er Olympische Spiele oder eine WM verpasst und länger ausfällt? 9. August 2024: Die deutsche Sprinterin Lisa Mayer rennt Gina Lückenkemper entgegen. Sie schlägt die Hände vor das Gesicht, hat Tränen in den Augen. Immer wieder schüttelt sie den Kopf. So, als könnte sie nicht glauben, dass sie gerade mit der 4×100-Meter-Staffel bei den Olympischen Spielen in Paris Bronze geholt hat. Dieser Moment war nicht nur ein Erfolg für das deutsche Quartett, sondern auch ein persönlicher für Lisa Mayer. Die 29-Jährige hatte in den vergangenen Jahren immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen. Sie verpasste die Spiele in Tokio vor vier Jahren, fehlte auch bei der WM 2023 verletzt. Zwei Monate vor Olympia in Paris musste sie die Leichtathletik-Europameisterschaft in Rom aufgrund von muskulären Problemen abbrechen, bangte um die Teilnahme an den Spielen in Frankreich. So wie Mayer geht es zahlreichen Leistungssportlern. Im einen Moment liefert der Körper ab und erbringt Hochleistung, im nächsten zwickt es im Oberschenkel oder in der Wade. Jeder Ausfall, egal wie kurz er ist, kostet einen Sportler nicht nur Zeit und Kraft – sondern hinterlässt auch Spuren. Inwiefern? t-online hat dazu mit Leistungssportlern und einem Sportpsychologen gesprochen. „Ich versuche jede Nacht mindestens acht Stunden zu schlafen“ Der eigene Körper ist das Kapital eines jeden Sportlers. Das tägliche Training ist dabei nur ein Teil dessen, was die Athletinnen und Athleten investieren. Die richtige Ernährung, regelmäßige Physiotherapie, professionelle Regeneration – all das spielt eine entscheidende Rolle im Kampf um Medaillen und WM-Titel. Lisa Mayer erklärt t-online: „Natürlich weiß ich, dass ich von meinem Körper abhängig bin und der Körper mein Kapital ist. Dadurch ist es superwichtig, ihn auch dementsprechend zu pflegen.“ Sie fügt an: „Ich versuche jede Nacht mindestens acht Stunden zu schlafen, eher Richtung neun Stunden, um dem Körper nachts die Erholungsphase zu bieten.“ Doch auch die Psyche spiele „eine unfassbar große Rolle“. Zehnkämpfer Niklas Kaul verriet im Gespräch mit t-online, dass das Mentale „im Wettkampf 50 Prozent ausmacht“. Laut 100-Meter-Olympiasieger Noah Lyles sind es sogar 90 Prozent. Das gilt nicht nur für den Wettkampf oder das Training, sondern eben auch in Zeiten von Verletzungen. Mayer beschreibt es so, dass „der Kopf sofort in Alarmbereitschaft“ komme, wenn „kleine Wehwehchen“ da seien, „und man sich omnipräsent mit seinem Körper und den Wehwehchen beschäftigt, dann zieht einen das sehr, sehr runter auf der mentalen Ebene“. Dies würde zu einer Negativspirale führen. „Aus der wird es dann umso schwerer, rauszukommen“, so die Sprinterin. Professor Dr. Jens Kleinert, Leiter des Psychologischen Instituts und Leiter der Abteilung Gesundheit und Sozialpsychologie der Deutschen Sporthochschule Köln, erklärt im Gespräch mit t-online: „Es ist wichtig, dass man die eigenen Gefühle in den Griff bekommt. Es ist sehr viel, was bei einem Leistungssportler, der sehr stark am Sport hängt, zusammenbricht, je nach Stärke der Verletzung. Dadurch entstehen sehr viele emotionale Reaktionen, mit denen der Sportler zurechtkommen muss.“ „Ich konnte überhaupt nicht reagieren“ Der deutsche Skirennfahrer und Parallel-Weltmeister Alexander Schmid riss sich im vergangenen Dezember das linke Kreuzband. Für den 31-Jährigen ein Rückschlag, da er nur ein Jahr zuvor die gleiche Verletzung erlitten hatte. Auf die Frage von t-online, welche Gedanken er im Moment des Sturzes gehabt habe, sagt Schmid: „Shit, was war das jetzt? Es ging so schnell, ich konnte überhaupt nicht reagieren.“ Er erklärt: „Ich habe mir das Kreuzband direkt im Runterfahren im Schwung gerissen. Ich bin dagelegen und den Hang hinuntergerutscht und habe schon gemerkt: Es passt was nicht, es ist etwas kaputt. Es war das gleiche Knie, wie vor zwei Jahren und hat sich gleich angefühlt. Ich hatte bisschen mehr Schmerzen.“ Auch Basketballer Till Pape, der kürzlich von Bonn nach Frankfurt gewechselt ist, erklärt t-online: „Als Leistungssportler bin ich gewohnt, dass der Körper mitgeht, auch weit über das Limit. Wenn ich verletzt bin und das nicht mehr selbstverständlich ist, das ist ein ganz unangenehmes Gefühl.“ Pape machte beispielsweise eine Fußverletzung einige Probleme. „Wenn man das erste Mal wieder was macht, freut man sich erst, dass man wieder etwas tun kann. Aber dann bei der zweiten und dritten Einheit wird einem bewusst, wie wenig das ist oder auf was für einem niedrigen Level man sich eigentlich befindet. Das ist erschreckend und es gibt dann Zweifel, ob man zurück zu der alten Stärke kommt. Das geht immer durch den Kopf. Man vergisst aber auch, wie schnell man dann von null auf sechzig Prozent ist. Das hat dann auch etwas damit zu tun, wie oft man schon verletzt war.“ „Akzeptieren, dass der Körper verletzlich ist“ Experte Kleinert betont daher: „Menschen im Leistungssport, die sich sehr stark mit dem Sport identifizieren, müssen auch akzeptieren, dass der Körper verletzlich ist. Dass er nicht immer so toll, stark und ausdauernd ist, wie die Sportlerin oder der Sportler ihn kennt und liebt.“ Es gehe darum, dass Leistungssportler ihren Körper auch lieben lernen, wenn er verletzt sei. „Das ist nicht so einfach, dass man dem Körper die Schwäche verzeiht“, meint Kleinert, dessen Forschungsschwerpunkt unter anderem die Psychologie der Sportverletzung ist. Alexander Schmid berichtet, dass für ihn der Moment nach dem Sturz schwierig gewesen sei, weil das Gedankenkarussell kreiste. Warum? „Weil man realisiert, dass etwas nicht passt. Es ist eine gewisse Unsicherheit, weil man nicht weiß, was ist. Ich hatte den Vorteil, dass ich am Tag des Sturzes mit meinem Physiotherapeuten nach München fahren konnte und gleich einen MRT-Termin bekommen habe und damit auch gleich die Diagnose.“ Er habe zudem mit seinem Bruder, einem ehemaligen Skirennfahrer, telefoniert, der die Situation verstanden habe. „Er hat gesagt: ‚Ich weiß ganz genau, was in deinem Kopf vorgeht. Die ganze Scheiße wieder von vorne, wieder Reha, wieder die mühsame Zeit'“, so Alexander Schmid. Solch eine mühsame Zeit hatte Lisa Mayer kurz vor den Olympischen Spielen in Tokio 2021. Im Vorbereitungslager in Japan machte ihr das Narbengewebe einer alten Verletzung zu schaffen und schmerzte. Sie entschied mit den Verantwortlichen gemeinsam, auf ihren Olympia-Start im Einzel über die 100 Meter und in der Staffel zu verzichten. Sie erinnert sich noch heute gut daran, was ihr dabei durch den Kopf ging. „Die ersten Gedanken, die auch relativ lange da waren, waren: ‚Das war es. Meine Karriere ist jetzt zu Ende. Ich will das nicht mehr. Ich hänge die Spikes an den Nagel.‘ Es war bei mir immer wieder dieselbe Stelle, die mehr oder weniger gleiche Verletzung, die die Probleme gemacht hat“, so Mayer. Sie hatte das Jahr vor Olympia Trainer und Umfeld gewechselt und wollte neu durchstarten. „Und mich dann dort vor Ort in Japan zu verletzen, das war brutal“, erklärt sie rückblickend. Durch die Probleme mit der immer selben Stelle habe sie an ihrem Körper gezweifelt: „Vielleicht zeigt mein Körper mir auch, dass er für den Leistungssport nicht gemacht ist. Das sind Gedanken, die sind knallhart und auch ganz schwer zu ertragen, wenn man eigentlich als Sportler noch super viele Ziele und Träume hat.“ Kleinert erklärt, dass ein Sportpsychologe daher genau darauf achten müsse, ob eine Verletzung zum ersten oder wiederholten Mal auftrete. Gerade in letzterem Fall sei eine besondere Unterstützung notwendig. „Was die Athletin oder der Athlet dann unbedingt braucht, ist Vertrauen in den eigenen Körper“, so Kleinert, der ausführt: „Wenn ein Sportler seinem Gelenk- oder seinem Muskelapparat nicht vertraut, dann kann das rein medizinisch gesehen noch so stabil sein, aber der Sportler wird sich dann unsicher sein.“ „Worst Case, weil ich es eben schon mal durchgemacht habe“ Auch Alexander Schmid musste die Erfahrung einer wiederkehrenden Verletzung machen. Die Gewissheit, dass es wieder ein Kreuzbandriss war, war ein herber Rückschlag. Eben auch, weil Schmid genau wusste, was auf ihn zukommen wird: „Meine Hoffnung war eher, dass das Kreuzband vielleicht nur angerissen oder überdehnt ist. Wenn es ein Knochenbruch gewesen wäre, dann wäre ich nach sechs Wochen wieder einsatzbereit gewesen. Und so falle ich fast ein Dreivierteljahr aus. Für mich war es fast der Worst Case, weil ich es eben schon mal durchgemacht habe und weil ich weiß, wie lange es dauert.“ Gerade der Faktor Geduld spielt eine große Rolle. Leistungssportler sind es gewohnt, jeden Tag zum Teil mehrmals zu trainieren und dann einmal pro Woche im Wettkampf abzuliefern. Mit einer Verletzung ändert sich plötzlich nicht nur der Tagesablauf, wenn es in die Reha geht. Basketball-Star Till Pape erklärt: „Es ist häufig so, dass man pessimistischer wird, weil es in der Reha oft nicht schnell genug gehen kann. Weil man die absoluten Höchstleistungen gewohnt ist. Es kommen Rückschläge dazu.“ „Ein richtiger Struggle für jeden Sportler“ Pape, der neben seiner Sportlerkarriere noch Medizin studiert, gesteht: „Dieser Zustand vor der Verletzung scheint dann so weit entfernt, da gehen wahnsinnig viele Sachen durch den Kopf und es ist ein richtiger Struggle für jeden Sportler.“ Kleinert erklärt, dass ein negativer Gedanke erst einmal seine Berechtigung habe und sowohl ernst genommen als auch wertgeschätzt werden müsse. „Nicht im Sinne von: Den möchte ich nicht haben, sondern er bedeutet etwas“, so der Sportpsychologe. Auch Fußball-Star Giulia Gwinn riss sich 2020 das vordere Kreuzband im rechten Knie und zwei Jahre später das im linken Knie. „Das war so ein Moment, wo alles stillstand, aber ich sehr laut war, weil ich genau wusste, was es ist. Ich kenne das Gefühl, den Schmerz, den Schock“, so beschrieb die deutsche Nationalspielerin in der Dokumentation „Fall. Rise. Gwinn.“ den Moment, als es passierte. Sie führte aus: „Dann schießen dir tausend Gedanken durch den Kopf. Die größte Angst ist, glaube ich, dass man seine Karriere früher beenden muss, als man es eigentlich geplant hat.“ „Psyche als zentraler Baustein“ Alexander Schmid weiß, dass Durchhaltevermögen entscheidend ist. „Bei einer Verletzung ist es noch schwieriger, weil die Fortschritte minimal sind. Aber es erfüllt umso mehr, wenn man während einer Verletzung ein Tages- oder Wochenziel erreicht“, so der 31-Jährige. Als Beispiel nennt der Silbermedaillengewinner von Olympia in Peking 2022 bestimmte Bewegungen nach seinem Kreuzbandriss. Der 30-Jährige arbeitete mit einer Mentaltrainerin zusammen. Im Gespräch mit t-online erklärt Schmid: „Das Wichtigste ist, Situationen zu akzeptieren. Wenn ich es noch nicht akzeptiert habe und mit mir selbst nicht im Reinen bin, dann ist es hart.“ Er habe seine Verletzung jedoch von Beginn an akzeptieren können. Auch Lisa Mayer betont im Gespräch, dass sie „die Psyche als einen zentralen Baustein“ sieht und führt aus: „Ich arbeite auch seit Jahren mit einer Sportpsychologin zusammen und merke, dass mir das sehr hilft, auf der Ebene zu arbeiten.“ „Kann mir vorstellen, dass einige Athleten allein gelassen werden“ Kleinert betont im Gespräch, wie wichtig eine sportpsychologische Unterstützung für die Athleten bei einer Verletzung und auch außerhalb davon sei. „Am Ende des Tages ist ausschlaggebend, ob ich mein sportliches Können im Wettkampf auch wirklich anwenden kann und das ist eine Frage des Kopfes“, so Kleinert, der ausführt: „Der Kopf bringt die letzten ein, zwei Prozent ein und entscheidet über Sieg oder Niederlage oder erster oder eben fünfzehnter Platz.“ Lisa Mayer wünscht sich, dass Verletzungen im Leistungssport mehr Aufmerksamkeit bekommen. „Dass über die Hindernisse und Hürden, die da vor allem im psychischen und mentalen Bereich in einer Verletzung auf einen Athleten warten, mehr gesprochen wird. Ich kann mir vorstellen, dass da einige Athleten allein gelassen werden.“ Die Sprinterin weiß, wovon sie spricht. Sie hat sich zurückgekämpft und macht so auch anderen Athleten Mut.