Schon nach einem halben Bundesliga-Jahr will Nick Woltemade zum FC Bayern wechseln. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt mehr Risiko als Chance. Als wäre die Menge der Schlagzeilen über ihn nicht schon groß genug: Über keinen deutschen Fußballprofi wurde in den vergangenen Wochen so viel und so positiv berichtet wie über Nick Woltemade . Die „Wolte-mania“ in Fußball-Deutschland nahm mit dem Pokalsieg der Stuttgarter Ende Mai Fahrt auf und setzte sich über seine Premiere in der A-Nationalmannschaft im Final Four der Nations League Anfang Juni fort und gipfelt nun in seiner „Torwut“ bei der U21-EM. Dort schoss er die deutsche Elf mit sechs Treffern in vier Spielen ins Finale gegen England am Samstag und hat jetzt beste Aussichten auf die Auszeichnung als Spieler des Turniers. Und nun will ihn auch noch der größte Klub des Landes für viel Geld aus seinem bis 2028 laufenden Vertrag beim VfB Stuttgart herauskaufen. Die Schlagzeilen der kommenden Tage sind ihm sicher. Doch noch ist nichts unterschrieben, nur eins ist jetzt schon sicher: Dieser Wechsel würde für ihn mehr Risiko als Chance bedeuten. Denn er käme viel zu früh. Woltemades Champions-League-Erfahrung: Null Minuten Klar: Woltemade ist der Senkrechter-Starter der Saison. Genauer gesagt des letzten halben Jahres. Dass er sich auf Top-Niveau etabliert hat, davon kann allerdings noch keine Rede sein. Man darf nicht vergessen: Der 23-Jährige würde genau null Minuten Erfahrung in der Europa League und null Minuten Erfahrung in der Champions League mit nach München bringen. Er kam vergangenen Sommer nach Stuttgart, nachdem er in der Vorsaison exakt zwei Tore in 30 Einsätzen erzielt hatte. Vorlagen: keine. Seine Rolle beim VfB war folglich anfangs eine untergeordnete. So sehr, dass er nicht mal einen Platz im Champions-League-Kader der Schwaben erhielt und bei den Königsklassen-Auftritten außen vor blieb. Erst ab der Rückrunde startete er zumindest in der Liga und im Pokal so richtig durch. Kommende Saison spielt der VfB in der Europa League. Eine perfekte Gelegenheit für Woltemade seine ersten Erfahrungen auf internationalem Klub-Terrain zu sammeln – als Stürmer Nummer eins. Stattdessen will er offenbar das Risiko eingehen, sich wieder hinten anzustellen. So wie er es lange Zeit in Bremen und im ersten Halbjahr in Stuttgart machen musste. Diese Rolle müsste er eigentlich satthaben. Vor allem riskiert er so seinen WM-Platz. Denn bei Bayern hätte er künftig keinen Geringeren als Harry Kane vor sich – den Liga-Torschützenkönig der letzten beiden Jahre. Dass die Münchner ihr System für eine Doppelspitze Kane/Woltemade umstellen? Eher unwahrscheinlich. Dass er mal hinter Kane als hängende Spitze agiert? Denkbar, aber gewiss keine Dauerlösung. Schließlich gibt es da noch einen gewissen Jamal Musiala für die Position im Zentrum hinter Kane. Keine Frage: Der 1,98-Meter-Schlacks Woltemade bringt hervorragende fußballerische Voraussetzungen mit, ist dazu noch ein unterhaltsamer Typ, der zum Sympathieträger taugt. Mit seiner Art würde er den Bayern nach dem Müller-Abschied sicher guttun. Doch ob seine gute Laune dauerhaft Bestand hat, wenn er sich vorrangig auf der Ersatzbank wiederfindet, darf bezweifelt werden. Bayern-Wechsel? Dieser Schuss kann nach hinten losgehen Ex-Torjäger Giovane Elber wechselte einst auch von Stuttgart nach München, direkt nachdem er mit dem VfB den DFB-Pokal gewonnen hatte. 1997 war das. Aber: Der Brasilianer hatte da schon drei komplette Bundesliga-Spielzeiten und mehr als 40 Tore vorzuweisen. Elber warnt Woltemade daher aus eigener Erfahrung im t-online-Gespräch : „Der Junge muss eins wissen: Bei Bayern ist es schwer, Stammspieler zu sein. In Stuttgart spielt er jedes Spiel, in München ist es anders, da ist Geduld gefragt.“ Vor allem, weil Woltemade das allerhöchste Niveau – und das Woche für Woche – noch gar nicht kennt. Einen Vorgeschmack darauf, dass in der Weltspitze ein anderer Wind weht, hat er bei seinen beiden Nations-League-Auftritten bereits bekommen. Wie das gesamte DFB-Team konnte er gegen Portugal und Frankreich kaum Akzente setzen, von Toren ganz zu schweigen. Auch wenn er sich aktuell „eine Etage tiefer“ so treffsicher zeigt: Der Schuss in Form eines sofortigen Bayern-Wechsels könnte für Woltemade gehörig nach hinten losgehen.