Frauen-EM: DFB-Sieg gegen Dänemark Sieg täuscht über ein Problem hinweg

Deutschland schlägt nach Polen auch Dänemark bei der EM. Trotz des Sieges polarisiert eine entscheidende Akteurin mit ihrer Spielweise. Aus Basel berichtet Kim Steinke Mehrfach ließ DFB-Schlussfrau Ann-Katrin Berger die dänischen Angreiferinnen ins Leere laufen – und trieb damit den Puls der deutschen Zuschauer und des Bundestrainers in die Höhe. Im zweiten EM-Gruppenspiel in Basel erlaubte sich die 34-Jährige drei riskante Aktionen, die zwar glimpflich ausgingen, aber auch die Frage aufwerfen: Wie lange geht das noch gut? Obwohl die DFB-Frauen Dänemark mit 2:1 bezwangen und dank Schützenhilfe von Schweden vorzeitig das Ticket fürs Viertelfinale lösen konnten, ist nicht alles rosarot bei der Nationalelf. Bergers Auftritt ist das große Gesprächsthema. Bundestrainer Christian Wück sieht zunehmend Handlungsbedarf. „Nein“, lautete Wücks Antwort nach Abpfiff auf die Frage, ob ihm Bergers Spielweise gefallen habe. Es folgte eine kurze Pause, dann Gelächter. „Mehr kann ich dazu jetzt erst mal nicht sagen. Ich werde mich mit ihr an den Tisch setzen“, kündigte Wück an. Es müsse eine andere Lösung gefunden werden, „weil sonst werde ich nicht mehr alt“. Dem Bundestrainer ist das Risiko, Gegenspielerinnen mit Finten ins Leere laufen zu lassen, anscheinend zu groß. Berger dagegen reagierte gelassen: „Vielleicht sieht es bei euch so aus, aber ich hatte ein gutes Gefühl“, sagte sie im Anschluss der Partie. Die Perspektive von außen unterscheide sich von ihrer Sicht. „Deswegen würde ich es wieder tun“, betonte sie entschlossen. Dass ihr Spielstil nicht jedem gefällt, nimmt „Anne“, wie sie im Team auch genannt wird, dabei in Kauf. Aber: „Wenn der Cheftrainer jetzt etwas anderes sagt, dann mal schauen, ob ich es weitermache.“ Die Spielerin von NJ/NY Gotham sei Drucksituationen aus dem Training gewohnt. „Ich liebe es, Fußball zu spielen und das ist einfach meine Art und Weise“, sagte sie weiter. Sicherlich sei sie auch in der Lage, riskante Aktionen zu minimieren, „aber ganz raus werde ich es nicht bekommen“, so Berger. Kapitänin Minge steht hinter ihr Trotz ihrer 34 Jahre begann Bergers DFB-Karriere erst im Dezember 2020. Seither absolvierte sie allerdings erst 24 Länderspiele. Lange stand sie im Schatten von Almuth Schult und später Merle Frohms. Erst unter Horst Hrubesch wurde sie im Zuge der Olympischen Spiele im vergangenen Jahr zur deutschen Nummer eins befördert – und avancierte prompt zur Heldin. Im Spiel um Platz drei gegen Spanien sicherte Berger in der Nachspielzeit beim Stand von 1:0 die Bronzemedaille. Die Torhüterin hielt einen Elfmeter des Gegners und bestätigte ihren Stammplatz bei den DFB-Frauen. Schon im Viertelfinale wurde Berger gefeiert, als sie gegen Kanada im Elfmeterschießen zweimal parierte und den entscheidenden Schuss selbst verwandelte. Im Team wird sie geschätzt. Dort genießt sie auch aufgrund ihrer Leistungen Rückhalt. Abwehrchefin Janina Minge, die durch das verletzungsbedingte EM-Aus von Giulia Gwinn die Kapitänsbinde übernommen hat, sagte nach dem Sieg gegen Dänemark: „Sie strahlt eine enorme Sicherheit aus. Ich weiß, wenn ich den Ball zu ihr nach hinten spiele, dass er bei Anne gut aufgehoben ist.“ Auch wenn ihre riskanten Aktionen aus Zuschauersicht „nicht schön anzusehen“ seien, habe sie „volles Vertrauen“. Gegen Dänemark habe Berger überragend gespielt. „Von daher kann man ihr überhaupt nichts ankreiden.“ Ein stabiles Gerüst fehlt teilweise Doch Wücks Bedenken gehen vermutlich tiefer – und betreffen nicht nur die Torhüterposition. Monatelang wurde Deutschland immer wieder für die Anfälligkeit in der Defensive kritisiert. Nach dem Rücktritt der langjährigen Leistungsträgerin Marina Hegering, dem Kreuzbandriss von Bibiane Schulze Solano und verletzungsbedingten Ausfällen von Kathrin Hendrich fehlte es an Stabilität – eine klaffende Lücke entstand. Janina Minge rückte unter Vorgänger Horst Hrubesch vom Mittelfeld in die Innenverteidigung und entwickelte sich zur Abwehrchefin. Lange wurde ihre Nebenspielerin gesucht. Mit der Nominierung von Rebecca Knaak schien die perfekte Lösung gefunden: Ein Linksfuß neben einem Rechtsfuß, so wie Wück es sich vorstellte. Mit ihren 1,73 Metern ist die Spielerin von Manchester City robust, kopfballstark und zweikampferprobt. Doch Knaak hat Schwächen im Tempo und in der Handlungsschnelligkeit. So wird sie in der hoch stehenden deutschen Abwehr teilweise zum Unsicherheitsfaktor. Auf der rechten Außenposition ist mit Carlotta Wamser ein DFB-Neuling in die Startformation gerückt. Die 21-Jährige, die künftig für Bayer Leverkusen auflaufen wird, ersetzt Kapitänin Giulia Gwinn auf der rechten Seite. In den drei Halbzeiten seit Gwinns Verletzung machte Wamser ihren Job gut, überzeugte mit ihrer Schnelligkeit in Defensive wie Offensive. Allerdings waren die Partien gegen Polen und Dänemark erst ihre Länderspiele drei und vier. Erfahrung hat sie kaum. Wamsers Pendant auf der linken Seite ist Sarai Linder. Die Wolfsburgerin überzeugte gegen Dänemark mit gutem Stellungsspiel und Offensivdrang. Im Rahmen der Nations-League-Spiele im Mai und Juni sowie im ersten EM-Gruppenspiel gegen Polen (2:0) zeigte sie aber auch Schwächen in der Rückwärtsbewegung. Sicherheit strahlte sie in ihren Auftritten nicht immer aus. Fakt ist: Der deutschen Defensive fehlt es an Stabilität – und durch eine risikofreudige Torfrau wird sie gegen offensiv starke Gegner wohl kaum an Sicherheit gewinnen. Wie sehr Deutschland von Bergers Mut profitiert – und wie groß das Risiko dabei tatsächlich ist – wird sich bereits im kommenden Gruppenfinale gegen den Weltranglistensechsten aus Schweden zeigen (Samstag, ab 21 Uhr im t-online-Liveticker).