Es ist in der Premier League oftmals gar nicht so einfach, ins Rampenlicht zu kommen. Ein großer Teil der medialen Berichterstattung dreht sich um den FC Liverpool, die beiden Manchester-Klubs oder die drei Londoner Vereine Arsenal, Chelsea und Tottenham. Wer abseits davon auffallen möchte, braucht entweder spektakuläre Transfergeschichten, bei denen die Big Six nicht selten noch mit involviert sind, oder muss sich durch außergewöhnliche Leistungen hervortun.
Zweiteres ist der Grund, warum Crystal Palace und Trainer Oliver Glasner gerade in aller englischer Munde sind. Auch wenn das abseits eingefleischter Fans und Premier-League-Connaisseurs vermutlich nur die Allerwenigsten mitbekommen haben: Die Eagles sind derzeit mit wettbewerbsübergreifend 18 unbesiegten Spielen in Serie das mit Abstand formstärkste Team in der mutmaßlich besten Liga der Welt.
Nach dem Last-Minute-Sieg am Samstag gegen die ebenso bis dato noch ungeschlagenen Liverpooler von Arne Slot, bei dem Joker Eddie Nketiah mit einem satten Volley in der achten Minute der Nachspielzeit zum Matchwinner avancierte, sprang die Glasner-Elf vorübergehend auf Rang zwei der Tabelle – nur noch drei Zähler hinter dem Star-Ensemble der Reds.
Im Anschluss erklärte der Österreicher, dass die erste Halbzeit, in der Palace gegen Liverpool dominierte und verdient durch Ismaila Sarr in Führung ging, „die beste Halbzeit seit unserer Ankunft (seiner und des Trainerteams; Anm.d.Red.)“ gewesen sei. „Es war nur das Ergebnis nicht optimal – nur mit einem Tor zu führen, da hätten wir mehr machen können. Wenn du gegen den Meister spielst, weißt du, dass sie immer zurückschlagen können. Besonders wenn man ihre letzten Spiele gesehen hat, da haben sie immer spät getroffen“, so Glasner. „Ehrlich gesagt, in der zweiten Halbzeit war der Druck enorm. Wir hatten in einigen Situationen Glück, und wir hatten unseren Keeper Dean Henderson ein- oder zweimal.“
Crystal Palace kommt ohne große Transfers aus
Noch viel beeindruckender ist dieser Lauf, wenn man einen Blick auf die vielen Hürden wirft, die Glasner in seiner nun schon rund eineinhalbjährigen Amtszeit bei den Londonern zu meistern hatte. Als der Österreicher Palace im Februar 2024 übernahm, lief man Gefahr, in die Zweitklassigkeit abzurutschen. Letztlich coachte der 51-Jährige seine Mannschaft mit 24 Zählern aus 13 Spielen zum souveränen Klassenerhalt. In der zurückliegenden Saison setzte man den positiven Trend fort und schloss die Liga mit 49 Zählern und dem überhaupt erst zweiten Top-Ten-Ergebnis der Klubgeschichte ab. Als Sahnehäubchen obendrauf gab es den Titel im FA Cup, den man in einem umkämpfen Spiel im Wembley gegen Manchester City gewann. Es war der erste große Titel der Vereinsgeschichte!
Neben den sportlichen Herausforderungen musste Glasner in dieser Zeit auch mit allerhand personellen Rückschlägen fertig werden. Michael Olise verabschiedete sich nach der starken Rückrunde 2023/24 für 53 Millionen Euro zum FC Bayern München, im zurückliegenden Sommer tat es Eberechi Eze dem Franzosen gleich – für beinahe 70 Millionen Euro schlug der FC Arsenal beim 27-jährigen Engländer zu.
Auf der Gegenseite fanden, anders als bei den oben genannten Schwergewichten aus Liverpool, Manchester und London, keinerlei personelle Großinvestitionen statt. Während im abgelaufenen Transferfenster alleine die Reds, ManUnited, ManCity, Chelsea und Arsenal zusammengerechnet mehr als 1,5 Milliarden Euro für neue Spieler ausgaben und dabei auf ein Transferminus von mehr als 850 Millionen Euro kamen, erwirtschaftete Palace seit dem Sommer 2024 ein Plus von mehr als 30 Millionen Euro.
Innerhalb dieses Zeitraumes gibt es aus den ersten vier englischen Ligen mit Aston Villa, Middlesbrough, Norwich, Hull, Bournemouth und Brentford nur sechs Klubs, die mehr Geld aus Spielerverkäufen einnahmen. Große Namen sucht man auf Glasners Einkaufsliste vergeblich – teuerster Neuzugang vor dieser Saison war Angreifer Yeremy Pino, den man für 30 Millionen Euro vom FC Villarreal loseiste.
Glasner baut bei Crystal Palace auf stabile Defensive
Stattdessen versucht Glasner mit dem zu arbeiten, was ihm zur Verfügung steht. Erwähnenswert ist in dieser Hinsicht allen voran die herausragend funktionierende Defensive um die beiden ehemaligen Bundesligastars Maxence Lacroix (VfL Wolfsburg) und Chris Richards (TSG Hoffenheim), die zusammen mit dem von einer Reihe von Topklubs umworbenen Marc Guehi die aktuell vielleicht stärkste Dreier-Abwehrkette der Welt bilden. Hinter diesem Dreiergespann muss Keeper Henderson gerade einmal 1,8 Paraden pro Partie hinlegen. Noch beeindruckender: In zehn Pflichtspielen hat Palace erst sechs Gegentreffer kassiert.
Wie wichtig Glasner das Prunkstück seiner Mannschaft ist, konnte man in den Stunden vor Schluss des Sommer-Transferfensters sehen, als der Österreicher höchstselbst bei den Vereinsbossen vorstellig wurde, um einen 40 Millionen Euro schweren Wechsel Guehis zum FC Liverpool zu verhindern. Als die Reds mit der für einen 2026 ablösefreien Spieler vergleichsweise hohen Geldsumme wedelten, wollten die Verantwortlichen schon zustimmen, ehe Glasner intervenierte und sich dazwischen warf: „Wir hatten im Frühjahr intern vereinbart, dass wir Marc verkaufen können, wenn wir den richtigen Ersatz haben“, meinte er gegenüber The Athletic. „Aber den haben wir nicht gefunden.“
Der aktuelle Erfolg sollte Glasner Recht geben. Ohne Zweifel sorgt der äußerst defensive Ansatz des 51-Jährigen nicht unbedingt dafür, dass Palace die Massen mit spektakulärem Offensivfußball begeistert. Spielerische Leckerbissen sind die wenigsten Begegnungen mit Beteiligung der Süd-Londoner, auch wenn grundsätzliche offensive Qualität in Glasners Kader durchaus vorhanden ist.
Nach den Abgängen der beiden Kreativköpfe Olise und Eze basieren viele Angriffe auf den Tempodribblings von Rechtsaußen Sarr oder der Genialität von Ex-Bundesligastürmer Jean-Philippe Mateta (1. FSV Mainz 05), der sich wie viele aus dem Team in der Form seines Lebens befindet und in 69 Spielen unter Glasner stolze 34 Tore aufweisen kann. „Die Spieler glauben an das, was wir tun und sie wissen, es funktioniert. Es geht darum, Ruhe zu bewahren und gut zu verteidigen – das machen wir seit Monaten sehr gut. Es ist nicht einfach, gegen uns Chancen zu kreieren. Gleichzeitig können wir uns immer darauf verlassen, dass wir vorne selbst Chancen kreieren“, erklärte Glasner seinen Ansatz.
Glasner: „Haben auch Dinge, die wir noch verbessern können“
Angesichts des Laufs unter Glasner fällt das übergreifende Urteil entsprechend euphorisch aus. Die sonst eigentlich eher kritisch eingestellte Medienlandschaft im Mutterland des Fußballs liegt dem Österreicher und seinem Team zu Füßen. In den höchsten Tönen schwärmt man von seinem Fußball, seinen Ergebnissen und seinem Lauf. Lob gab es nach dem 2:1-Sieg auch von LFC-Trainer Slot, der Glasner seinen Respekt für die erste Liverpooler Niederlage der laufenden Spielzeit zollte. „Sie hätten in der ersten Halbzeit mit zwei oder drei Tore führen müssen. Sie hatten drei, vier sehr gute Chancen.“
Glasner selbst will dem rekordbrechendem Erfolg – als erst viertem Team der Premier League außerhalb der Big Six gelang es Palace, 18 Spiele in Folge ungeschlagen zu bleiben – nicht allzu viel Bedeutung schenken. Schließlich befinde man sich noch im Frühstadium der Saison: „Letztes Jahr waren wir vielleicht die einzige Mannschaft, die zu diesem Zeitpunkt der Premier League noch nicht gewonnen hatte. Am Ende hatten wir einen Punkterekord und haben den FA Cup gewonnen.“
Ganz im Sinne seines ruhigen und abgeklärten Understatements blickt der Österreicher bereits auf die kommenden Aufgaben, etwa das Conference-League-Spiel am kommenden Donnerstag gegen Dynamo Kiew. „Ja, es ist großartig zu gewinnen. Es ist großartig, gegen den Meister zu gewinnen. Aber wir haben auch Dinge, die wir noch verbessern können. Montag haben wir frei und am Dienstag werden wir anfangen und die Mannschaft pushen, um gegen Kiew zu gewinnen.“