Bei Borussia Dortmund wusste man nicht so recht, wie man dieses 1:1 im Bundesliga-Topspiel gegen RB Leipzig denn nun bewerten sollte. Eher als Erfolg oder eher als Enttäuschung? „Wir haben ein gutes Spiel gemacht, aber kein sehr gutes“, konstatierte der erneut gut aufgelegte Abwehrchef Nico Schlotterbeck bei Sky und haderte mit zu wenig Durchschlagskraft in der Offensive: „So richtig zwingend waren wir nicht, haben viele Bälle vorne leichtfertig vertändelt.“
Trotzdem waren die Dortmunder irgendwie auch zufrieden mit diesem Spiel, in dem man „gegen einen guten Gegner viel investieren“ musste, wie Trainer Niko Kovac befand. Nach dem frühen Rückstand durch Christoph Baumgartner in der siebten Minute berappelte sich der BVB gegen den Tabellennachbarn schnell und war in der Schlussphase etwas näher dran, doch noch über einen Sieg jubeln zu können. „Ich kann mit diesem Punkt leben, wir hätten aber gerade zuhause natürlich gerne gewonnen“, fasste Kovac das Dortmunder Bewertungsdilemma zusammen.
Entscheidend dafür, dass es kein eindeutig enttäuschender Nachmittag wurde, war letztlich das Ergebnis. Und damit auch das schön herausgespielte Tor zum 1:1, an dem passenderweise drei Akteure maßgeblich beteiligt waren, die prägend für die positive Entwicklung der Borussia unter Kovac stehen.
Da wäre zum einen Yan Couto, der Torschütze. Für den Brasilianer hat der BVB insgesamt 25 Millionen Euro an Manchester City überwiesen, in der vergangenen Saison war Couto allerdings meilenweit davon entfernt, dieser Ablösesumme gerecht zu werden. Deutlicher gesagt: Er befand sich auf dem besten Weg, ein teurer Transferflop zu werden.
Zu fehlerhaft und inkonstant war Coutos Spiel nach vorne, zu häufig ließ der Rechtsverteidiger die defensive Eignung vermissen. Den hart erarbeiteten Status Sorgenkind hat der 23-Jährige zuletzt aber durchaus eindrucksvoll abgestreift.
Mitverantwortlich dafür ist sicherlich die Systemumstellung, die Kovac im Frühjahr durchführte und die seither zu einem positiven Umschwung beim BVB geführt hat. Von der etablierten Vierer-, wurde auf eine Dreierkette gewechselt, mit einher gingen deutlich mehr Stabilität und Konstanz. Und Couto im Speziellen liegt die Position des Schienenspielers vor einer Dreierkette deutlich besser als die des Rechtsverteidigers in einer Viererkette.
Bei seinem Treffer gegen Leipzig lieferte er dabei ein Beispiel dafür, was das Kovac-System in der Offensive bringen kann. Den vom Trainer geforderten Zug ins Angriffsdrittel legte Couto vorbildlich an den Tag, drang in den Strafraum ein und kam so in die Position, auf der er von Guirassy bedient werden und abschließen konnte. Ein Ansatz, der dem Kovac-BVB offensiv immer wieder zusätzliche Optionen gibt, auch analog auf der linken Seite mit Daniel Svensson. Der Schwede hatte erst am vergangenen Wochenende beim 2:0-Sieg in Mainz getroffen, weil auch er einen Offensivlauf in den Strafraum durchzog und einnetzen konnte.
Für Couto war es indes wettbewerbsübergreifend sein zweites Saisontor, nachdem er bereits beim 4:4 bei Juventus Turin in der Champions League getroffen hatte. Der viermalige brasilianische Nationalspieler hat sich bei der Borussia in der bisherigen Spielzeit zu einem wesentlich verlässlicheren Akteur entwickelt. Weil Kovac es hinbekommen hat, dass Couto umsetzt, was er von ihm fordert. Auch gegen RB hatte er noch die eine oder andere technische Unzulänglichkeit drin, die im Vorjahr so negativ auffielen. Doch Coutos schlechte Aktionen sind deutlich seltener geworden, dafür wurden aggressives Vorwärtsverteidigen und Dynamik mit und ohne Ball häufiger.
Couto ist mittlerweile ein adäquater Ersatz für Julian Ryerson, der in der vergangenen Saison noch unersetzbar schien. „Es gelingt ihm von Tag zu Tag mehr, auch mit Julian Ryerson zu matchen“, sagte Kovac schon im September über Couto. Jener mache Fortschritte, aber Kovac ist „davon überzeugt, dass er noch besser werden wird“.
Für die Dortmunder ist es enorm wertvoll, auf der rechten Seite nun zwei Spieler zu haben, die konstant gute Leistungen bringen können. Couto stand in sieben der neun bisherigen Pflichtspiele in der Startelf, zuweilen auch mit Ryerson als rechter Parte der Dreierkette direkt hinter sich. Deutliche Ausreißer nach unten wie so häufig in der Vorsaison gab es bei Couto bis dato noch nicht.
BVB: Maximilian Beier spielt unter Niko Kovac dort, wo er am besten ist
Die entscheidende Rolle bei Dortmunds Ausgleichstreffer spielte aber nicht Couto, sondern Maximilian Beier. Zunächst zog er Gegenspieler Nicolas Seiwald klug etwas raus und startete dann mit seinem enormen Tempo unwiderstehlich in den freigewordenen Raum dahinter – der öffnende Laufweg, dem Ramy Bensebaini ein feines Zuspiel genau in Beiers Spur folgen ließ. Jener hatte dann zugegebenermaßen etwas Glück, dass seine Hereingabe bei Serhou Guirassy ankam, der schließlich auf Couto rüber legte. Dennoch ging dieses Tor zu einem großen Teil auf Beiers Konto.
Auch der 22-Jährige ist einer jener BVB-Spieler, die Kovac merklich nach vorne gebracht hat. Beier, 2024 von hohen Erwartungen begleitet für knapp 30 Millionen Euro aus Hoffenheim gekommen, durchlebte ein schwieriges erstes Jahr in Dortmund. Phasen durchwachsener Auftritte in Serie wurden nur vereinzelt von Highlights unterbrochen und Beier verlor seinen Platz im Kader der deutschen A-Nationalmannschaft.
Doch seit der Übernahme Kovacs im Februar ging es bei Beier bergauf. Ein Aufwärtstrend, den er in der neuen Saison bisher aufrecht erhalten und ausbauen konnte. Bei Beier ist zwar immer noch Luft nach oben, doch er liefert konstant überzeugende Leistungen ab, stand in 2025/26 bisher in sieben von neuen Pflichtspielen in der Startelf. Sehr wichtig dabei: Kovac lässt Beier dort spielen, wo er am besten ist, gemeinsam mit Karim Adeyemi agiert er etwas hängend hinter Sturmspitze Serhou Guirassy.
Hier kann Beier seine Schnelligkeit ausspielen, indem er immer wieder die von Kovac gebetsmühlenartig geforderte Tiefe sucht und dabei nicht von ganz außen kommen muss, sondern seine Läufe wie vor dem Tor gegen Leipzig zentraler starten kann.
Kovac setze ihn „konsequent auf meiner präferierten Position ein – also in der Doppelspitze oder als hängender Stürmer im Zentrum“, erklärte Beier vor einigen Wochen im Eurosport-Interview. „Das kommt mir sehr entgegen.“
Das Vertrauen von Kovac zahlt Beier derweil nicht nur mit effizienten Offensivaktionen wie vor dem Ausgleichstreffer gegen Leipzig zurück. Vielmehr wollte ihm im Spiel nach vorne gegen RB zwar ansonsten nicht viel gelingen, dafür rieb sich Beier aber mit zahlreichen Läufen nach hinten auf, mit denen er seine Gegenspieler unaufhörlich stresste und damit seinen Beitrag dazu leistete, dass der BVB nicht übertölpelt werden konnte.
Man spürt dabei, dass Beier das Kovac-System verinnerlicht hat, in dem er eben auch wichtige Defensivarbeit verrichten muss. „Mit Maxi haben wir einen Spieler, der uns Geschwindigkeit und Fleiß gibt und eine richtig gute Entwicklung genommen hat“, lobte Kovac schon im April.
Der Aufschwung beim BVB hat Beier bekanntlich auch wieder zurück ins DFB-Team gebracht. Im September wurde er noch nachnominiert, war damit erstmals seit einem Jahr wieder bei der A-Nationalmannschaft dabei. Für die anstehenden Länderspiele im Oktober berief Bundestrainer Julian Nagelsmann Beier nun erstmals seit September 2024 wieder in seinen ursprünglichen Kader.
Aggressivität und Esprit: Auch Bensebaini profitiert vom Kovac-Prinzip
Auch Ramy Bensebaini ist einer dieser Spieler, die von Kovacs Umstellung auf die Dreierkette im März enorm profitierten. Als linker Part davon ist der Algerier längst gesetzt und tritt auf dieser Position konstanter auf als in seiner vorherigen Zeit beim BVB, der ihn 2023 aus Mönchengladbach geholt hatte.
Bensebaini bringt aktuell mit einer Selbstverständlichkeit genau das auf den Platz, was ihn an guten Tagen schon immer ausgezeichnet hat: Aggressivität und gutes Timing im Defensivverhalten, dazu Esprit im Spiel nach vorne.
Bestes Beispiel für Letzteres war gegen Leipzig, wie er das Ausgleichstor einleitete: Handlungsschnell ging er auf Beiers gute Idee ein und löffelte den Ball perfekt getimt mit ganz viel Gefühl in dessen Lauf. Auch Bensebaini hatte damit große Aktien am wichtigen Treffer durch Couto.
Weil Kovac ihm Vertrauen schenkt und bei Nachlässigkeiten nicht gleich verteufelt, kann Bensebaini den für sein Spiel so wichtigen Mut nachhaltig auf den Platz bringen. Als er es beim 4:4 gegen Juventus mit dem Mut mal übertrieb, verzieh Kovac ihm das und brachte seine harte, aber faire Hand authentisch rüber: „Ich sage nicht umsonst, hinten gibt es keine Play-Zone. Gerade wenn es dann in die Nachspielzeit geht, da darf der Ball eigentlich gar nicht mehr im Spiel sein“, kritisierte der BVB-Coach den 30-Jährigen zwar seinerzeit bei Prime, nachdem Bensebaini im unmittelbaren Vorfeld des späten Turiner Ausgleichstreffers lieber die spielerische Lösung gewählt hatte und den Ball nicht einfach nach vorne drosch. Kovac betonte dann aber auch: „Auf dem Niveau darf man keine Fehler machen, man kann mit dem Finger auf Ramy zeigen, aber das machen wir nicht.“
Eine Einordnung, die für die Geschlossenheit steht, die Kovac bei der Borussia implementiert hat. Und auf Grundlage des eingeschworenen Kollektivs gelingt es dem Trainer, Spieler individuell besser zu machen. Eine Mischung, die auf langfristig erfolgreiche Zeiten hoffen lässt.