Deutschland liegt wieder voll auf Kurs WM-Qualifikation. t-online-Kolumnist Stefan Effenberg warnt aber vor der Wiederholung eines Fehlers – und stellt eine Forderung an Bundestrainer Nagelsmann. Ein Sorgenkind nimmt er in Schutz. Das Allerwichtigste vorneweg: Durch das 1:0 in Nordirland hat sich die deutsche Nationalmannschaft drei ganz wichtige Punkte in der WM-Qualifikation gesichert und führt die Gruppe A weiter an. Bundestrainer Julian Nagelsmann und seine Spieler haben die Quali nun selbst in der Hand, müssen nicht mehr auf einen Ausrutscher der Slowakei hoffen, gegen die es zum Auftakt noch eine unerwartete – und verdiente – 0:2-Niederlage gab. Aber: Dieses Ergebnis fällt in die Kategorie „glücklicher Sieg“, mehr nicht. Natürlich war schon im Vorfeld klar: Das würde nicht leicht werden in Belfast, die Nordiren haben eine kampfstarke, unangenehme Mannschaft, die schwer zu bespielen ist. Unterm Strich aber hat es die DFB-Elf gut gemacht und die Prüfung im hitzigen Windsor Park bestanden. Wissen Sie, woran mich diese Partie erinnert hat? Erste Runde DFB-Pokal, Bundesligaklub gegen einen Zweit- oder Drittligisten. Du gehst als Favorit ins Spiel, weißt aber auch, dass gegen solche Teams immer eine Gefahr lauert. Da kann man auch mal gar nicht gut aussehen, da kann man auch mal stolpern und zum Gespött der Fans werden. Das ist Deutschland am Montagabend aber glücklicherweise nicht passiert, auch wenn längst nicht alles perfekt lief. Das war kein Spiel für Glanz und Gloria, kein Spiel für großen Ruhm, stattdessen ein hartes Stück Arbeit. Wir hätten uns nicht beschweren können Einen Vorwurf muss sich die deutsche Elf aber gefallen lassen: Dass sie es nicht geschafft hat, den Deckel auf diese Partie zu machen – Möglichkeiten hatte sie schließlich. Karim Adeyemi war kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit in der besten Position, mit einer hundertprozentigen Chance, vergab sie aber unglücklich. Dabei hätte er mit einem Tor das ganze Stadion verstummen lassen können. So hielt lediglich die knappe 1:0-Führung, durch die es bis in die Schlussphase hinein noch spannend blieb. Ich sage: Ein Ausgleich der Nordiren wäre verdient gewesen, da hätten wir uns ob des Spielverlaufs nicht beschweren können. Denn mit zunehmender Spieldauer wurde das immer schlechter von der Nagelsmann-Elf. Nach der vergebenen Adeyemi-Chance gab es gefühlt einen Bruch im deutschen Spiel, während Nordirland immer mehr Selbstvertrauen tankte, viel mit langen Bällen und Standardsituationen versuchte – und zum Teil tatsächlich auch richtig guten Fußball spielte. In der zweiten Halbzeit hatten die Gastgeber acht Torschüsse, wir nur drei. Natürlich war das auch der Situation geschuldet: Deutschland lag vorn, Nordirlands Trainer Michael O’Neill wechselte offensiv, brachte in der Schlussviertelstunde zwei Stürmer für zwei Defensivspieler in die Partie. Aber Nagelsmann kann das nicht gefallen haben – die zweite Halbzeit sollte deshalb ein Warnsignal für ihn sein. Er muss jetzt unbedingt genau analysieren, wie dieser Leistungsabfall nach der Pause künftig verhindert werden kann – auch wenn es nicht einfach wird. Das sind aber Aufgaben, für die er als Bundestrainer Lösungen finden muss. Er wird ebenso wissen: So wie gegen Nordirland darf und wird er nicht gegen Top-Gegner wie Frankreich, Spanien, England, Argentinien spielen lassen. Dass ein Joshua Kimmich als Rechtsverteidiger beispielsweise auch immer wieder ins zentrale Mittelfeld zieht und dadurch hinten Raum entsteht, darf in solchen Spielen auf keinen Fall passieren. Auch vier WM-Titel helfen nicht Deutschland muss in der Lage sein, in der kritischen Phase eines Spiels die Partie zu beruhigen. Und wie geht das? Durch Ballbesitz, durch Spielkontrolle, dadurch, dass der Gegner mehr laufen muss. Immer nur Spektakel geht nicht, auch wenn sich das viele wünschen. Denn so tun sich auch immer wieder Gelegenheiten für die andere Mannschaft auf – besonders für unbequeme Gegner vom Kaliber Nordirland, denen ein „wildes“ Spiel voll in die Karten spielt. Das ist Deutschland am Montag – glücklicherweise ohne schlimme Folgen – passiert, und das darf so nicht sein. 1:0 gegen Nordirland, zuvor 4:0 gegen Luxemburg – das sind 5:0 Tore und sechs Punkte aus zwei Spielen. Und wer jetzt diese Ergebnisse und den von der deutschen Mannschaft gezeigten Fußball kritisiert, dem sage ich: Wir sind nun mal aktuell nicht unter den Top drei der Welt. Wir stehen auf Platz zwölf der Weltrangliste, noch hinter Marokko – und das zu Recht. Die hohen Ansprüche, die alle einst an die Nationalmannschaft hatten, sind so längst nicht mehr gültig, und das muss so auch endlich verstanden werden. Da können wir uns auch von vier WM-Titeln nichts kaufen. Wer mir da kommt mit dem Argument: „Aber 2014 waren wir doch noch Weltmeister“ – ja, aber mit einer grundverschiedenen Mannschaft. Außerdem sind zähe Auftritte in der WM-Qualifikation längst kein neues Phänomen. Erinnern Sie sich an die Quali zur Endrunde 1990? Da mühte sich die DFB-Elf zu drei Siegen und drei Unentschieden. Und 2014? Da gab es zwar neun Erfolge aus zehn Spielen, darunter aber auch zwei 3:0-Siege gegen den Fußball-Zwerg Färöer und das denkwürdige 4:4 nach 3:0-Führung gegen Schweden. Neuer hat die Entscheidung selbst getroffen Sehr viele Fans, vermeintliche Experten und Beobachter täten gut daran, die Erwartungshaltung an die deutsche Mannschaft mindestens etwas zurückzuschrauben. Denn heute – erst recht mit einem personell längst nicht mehr so stark besetzten Kader – ist die Realität: Wir spielen nun mal keinen Gegner mehr daher. Diesen Wunsch kann die DFB-Elf aktuell nicht mehr erfüllen. Das ist – zumindest momentan – vorbei. Vorbei ist auch die Zeit von Manuel Neuer in der deutschen Nationalmannschaft – auch wenn anhaltend über ein mögliches Comeback des Torwarts spekuliert wird. Nagelsmann hat sich nach dem Nordirland-Spiel zu Recht über die ständigen Nachfragen aufgeregt . Denn Neuer ist schließlich im vergangenen Jahr selbst zurückgetreten. Weder wurde er vom Bundestrainer ausgebootet noch wird auf sein Comeback nach einer schweren Verletzung gewartet, er hat sich selbst entschieden, seine internationale Karriere zu beenden und diese Entscheidung kürzlich ja auch noch mal bestätigt. Natürlich ist er aktuell auch mit 39 Jahren noch in ganz starker Form beim FC Bayern . Aber warum? Weil er eben in diesen Länderspielpausen wie jetzt nicht mehr mit der Nationalmannschaft unterwegs ist, sondern diese Unterbrechungen nutzen kann, um mehr auf seinen Körper zu achten. Oft wird in der Neuer-Debatte auch die Frage aufgebracht: Was ist aber, wenn im Frühjahr 2026, kurz vor der WM, plötzlich Not am Mann ist? Dazu sage ich: Das wird sich Neuer mit Sicherheit ganz genau überlegen. Denn er weiß auch: So eine Weltmeisterschaft kostet nicht nur Kraft, sie fordert auch physisch und psychisch enorm. Und da wird er abwägen, ob er sich das wirklich nochmal zumuten will – und stattdessen lieber noch ein, zwei Jahre auf Vereinsebene dranhängt. Wirtz ist die Leichtigkeit abhandengekommen Für einen aktuell von vielen Seiten kritisierten Spieler muss ich jetzt noch mal eine Lanze brechen: Ich sehe Florian Wirtz aktuell nämlich nicht in so schlechter Verfassung, wie sie ihm von anderen attestiert wird. Er wird öffentlich noch immer an den starken Leistungen aus seiner Zeit bei Bayer Leverkusen gemessen – natürlich kommt er da aktuell nicht gut weg, bei erst einer Vorlage in zehn Pflichtspielen für den FC Liverpool . Trotzdem aber bin ich mir sicher, dass sowohl Nagelsmann als auch Liverpool-Trainer Arne Slot seinen Wert für die Mannschaft erkennen. Er ist schließlich nicht nur in der vordersten Linie gefährlich, sondern leistet auch viel in der Vor-Vorbereitung von Torchancen, verteilt den Ball umsichtig. Noch in meiner letzten Kolumne hatte ich die Hoffnung geäußert, dass er sich bei diesen beiden Länderspielen das Selbstvertrauen zurückholen könnte, das ihm beim FC Liverpool gerade zu fehlen scheint. Auch im DFB-Trikot ist ihm nun ein wenig die Leichtigkeit abhandengekommen, er muss mehr arbeiten, mehr investieren. Das ist aber nicht ungewöhnlich, und Bundestrainer Nagelsmann tut weiter gut daran, ihm die Unterstützung zu bieten, die er braucht. Eine neue Leistungsexplosion ist nur eine Frage der Zeit. Denn natürlich ist er noch immer ein Unterschiedsspieler. Von wem kam denn der tolle Steilpass auf Adeyemi vor dessen Torchance gegen Nordirland? Genau: von Florian Wirtz.