Füchse Boss Hanning im Interview: „Kein Land der Faulenzer und Versager“

Während seiner langen Karriere im Handball erarbeitete sich Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning den Ruf eines Mannes der deutlichen Worte. Im Interview mit t-online wird er dem gerecht. Bereits seit 2005 leitet Bob Hanning als Geschäftsführer die Geschicke des Handball-Bundesligisten Füchse Berlin , stieg mit ihnen schon kurze Zeit später in die Bundesliga auf und formte den Klub seither zum Top-Team. In dieser Saison führen die Füchse sechs Spiele vor Schluss die Bundesliga-Tabelle an. Der erste Meistertitel der Vereinshistorie ist zum Greifen nahe. Da die Füchse auch in der Champions League im Final 4 stehen, könnte es eine historische Spielzeit für den Klub werden. Abseits seiner Tätigkeit bei den Füchsen suchte sich der umtriebige Hanning jedoch stets weitere Betätigungsfelder. So war er zwischen 2013 und 2021 unter anderem Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB), engagiert sich beim 1. VFL Potsdam, den er von der 3. Liga in die Bundesliga führte, und ist seit Januar 2025 zudem italienischer Nationaltrainer. In all seinen Positionen scheute Hanning nie das deutliche Wort. Auch im Interview mit t-online hält sich Hanning mit klaren Meinungen nicht zurück. Dabei spricht er unter anderem über seine Ziele mit Italien und den Füchsen, über seine Forderung nach einer Olympia-Bewerbung von Berlin, eine mangelnde Leistungsbereitschaft in Deutschland und die Möglichkeit einer politischen Karriere. t-online: Herr Hanning, seit Januar sind Sie neben Ihren Aufgaben bei den Füchsen auch noch Nationaltrainer in Italien. Ist auch da das Ziel, einen Titel zu gewinnen? Bob Hanning: Nein. Meine Aufgabe ist es erst mal, die Handballnation Italien aus der Zwergenrolle herauszubekommen und ein gewisses Selbstverständnis zu entwickeln. Dafür müssen wir noch einige Entwicklungsschritte machen. Es ergibt also noch keinen Sinn, irgendwelche Luftschlösser zu bauen, die nicht realisierbar sind. Wir wollen uns künftig für jede WM und EM qualifizieren. Wenn wir das schaffen, haben wir schon viel erreicht. Dass ich kein Mensch bin, der gerne Spiele verliert, daran wird sich aber auch in Italien nichts ändern. Zu wenig Arbeit hatten Sie ja auch bisher schon nicht. Warum musste es dieses Projekt auch noch sein? Ich brauche immer irgendwas, was den Kopf anregt und mal nichts mit dem Alltagsgeschäft zu tun hat, wo die Abläufe immer gleich sind. Ich bin bei den Füchsen wie ein großes Stromaggregat, wo jeder seinen Stecker reinsteckt und sich Energie zieht. Irgendwo muss ich auch Energie wiederfinden. Für mich ist eine Aufgabe, die mich neu beschäftigt, einfach mit viel positiver Energie verbunden. Ich lerne ein neues Land, neue Menschen und andere Herangehensweisen kennen. Ich kann mich neu hinterfragen. Das finde ich total spannend. Wie oft können Sie überhaupt in Italien sein? Es hält sich in Grenzen. Es sind nur vier Wochen im Jahr, in denen es Lehrgänge gibt. Der Lehrgang im November findet in Berlin statt, also sind es in diesem Jahr sogar nur drei Wochen. Es ist aber auch kein Hauptjob, sondern ich mache das fast ehrenamtlich. Deshalb ist alles etwas informeller geregelt. Ein Beispiel: Als wir darüber gesprochen haben, ob wir eine Vertragsauflösung machen müssen, sollten wir uns nicht verstehen, habe ich eine einfachere Lösung vorgeschlagen. Sie laden mich nach Rom zu einem guten Italiener und zu einer guten Flasche Wein ein und dann gehen wir einfach getrennte Wege. Das steht übrigens eins zu eins so im Arbeitsvertrag (lacht). Können Sie die italienische Nationalhymne denn schon? Leider nicht, das ist mein wunder Punkt. Die ganze Sprache zu lernen wäre wohl zu viel für mich, aber die Nationalhymne ist mein großes Ziel. Die ist einfach überragend. Die Italiener singen sie mit so viel Inbrunst, da singt man schon automatisch mit – auch ohne den Text zu kennen. Selbst wenn es mit einem schnellen Titel für Italien nichts werden sollte, könnte es Deutschland immerhin schaffen. Trauen Sie dem DHB-Team in den kommenden Jahren einen großen Titel zu? Klares Ja, ich glaube fest daran. Das muss allerdings auch unser Anspruch sein, allein für die Entwicklung unseres Sports wäre das wichtig. Wir dürfen uns nicht zu schnell mit zu wenig zufriedengeben. Wie beim Viertelfinal-Aus gegen Portugal bei der WM? Genau. Bei diesem Turnier haben einfach viele kleine Dinge nicht gepasst. Zu viele Spieler sind nicht an ihr eigentliches Niveau herangekommen. Gerade bei einem jungen Spieler wie Renārs Uščins muss das aber auch mal erlaubt sein. Die Abwehr hat nicht so gut gestanden wie gewohnt. Im Angriff hat die Effektivität gefehlt und einige Spieler waren irgendwann auch einfach zu müde. Wir müssen aber nur kleine Dinge verändern. Ich habe ein gutes Gefühl. Was genau macht Sie so optimistisch? Ich sehe, dass die Entwicklung der Mannschaft, insbesondere der jungen Spieler, immer besser wird. Über Spieler wie Nils Lichtlein, Justus Fischer oder Renārs Uščins habe ich damals schon gesagt, dass sie U21-Weltmeister werden und das ist dann auch so gekommen. Heute sage ich, dass dieses Gerüst auch mit der A-Nationalmannschaft einen Titel holen wird. Und Sie sehen in Alfreð Gíslason den richtigen Bundestrainer, um das zu erreichen? Mir wird immer ein schlechtes Verhältnis zu Alfreð nachgesagt, aber das stimmt nicht. Ich schätze ihn als erfahrenen Trainer sehr. Ich finde, er hat uns bei ganz vielen Dingen auf den richtigen Weg gebracht. Einigen der jungen Spieler, wie etwa auch Nils Lichtlein von Ihren Füchsen, hat er bislang aber nicht besonders viel Spielzeit gegeben. Das ist der Punkt, an dem es zwischen Alfreð und mir die größten Dissonanzen gab. Es stimmt: Bei Alfreð dauert es immer ein bisschen länger, bis er jungen Spielern vertraut. Das ist halt seine Schule. Ich hatte aber neulich noch mal ein Gespräch mit ihm, in dem er mir versichert hat, dass zum Beispiel Lichtlein jetzt mehr Spielzeit bekommen wird. Ich habe den Eindruck, dass es darüber jetzt vollkommene Einigkeit gibt. Die jungen Spieler müssen ihn aber auch davon überzeugen, dass es sich lohnt, ihnen zu vertrauen. Titel möchten Sie auch mit den Füchsen Berlin gewinnen. Den Champions-League-Sieg haben sie schon vollmundig angekündigt. Warum? Ich glaube tatsächlich, dass wir die Champions League gewinnen. Wenn wir verletzungsfrei bleiben, können wir an einem bestimmten Tag, an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit alles. Das haben wir in dieser Saison bereits bewiesen, indem wir einige internationale Topteams auch auswärts geschlagen haben. Zuletzt sogar Aalborg. Klar, so eine Ansage kann daneben gehen, aber ich sage: Lieber mal ein hohes Ziel setzen und stolpern, als immer nur über ein Stöckchen zu springen. Ein Final 4 zu erreichen, um dann Dritter zu werden, ist mir jetzt einfach zu wenig. Die Mannschaft muss einfach den nächsten Schritt machen. Das erwarte ich. Gilt das auch für die Meisterschaft in der Bundesliga? Nach den Siegen in beiden Topspielen gegen Kiel und Hannover müssen wir die Meisterschaft als Ziel ausrufen. Ich lasse mich auf die Meisterschaft aber weniger festnageln als auf die Champions League. Es gibt in der Bundesliga vier bis fünf Mannschaften, die sich berechtigte Hoffnung auf den Titel machen und die es auch alle verdient hätten. Deshalb haben die Mannschaften, die es nicht schaffen, aber nicht versagt. Der Sportstandort Berlin liegt Ihnen am Herzen. Sie haben kürzlich gefordert, dass die Stadt sich um die Austragung von Olympischen Spielen bewerben soll. Kann das wirklich gelingen? Erst einmal finde ich, dass sich eine Stadt wie Berlin immer um Olympia bewerben sollte. Dieses Selbstverständnis sollten wir haben. Erreichen können wir das aber nur, wenn wir alle geschlossen hinter diesem Projekt stehen. Wir sollten eine Olympia-Bewerbung auch gesellschaftlich unterstützen, denn sie bietet viele Chancen: für die Infrastruktur, für das Image der Stadt und auch für die Einnahmen. Sport ist ein echter Wirtschaftsfaktor. Es ist einfach an der Zeit, auch mal groß zu denken und aus dieser Lethargie herauszukommen, die wir alle haben. Auch der Sport an sich hat neuen Schwung nötig. Aktuell geben wir uns ja mit einer lächerlichen Anzahl an Medaillen zufrieden. Allerdings sind die Olympischen Spiele auch sehr teuer, weshalb es viel Widerstand gegen eine Bewerbung gibt. Wir verstecken uns immer hinter solchen Sachen. Alles wird zerredet. Wir limitieren uns damit selbst. Ich höre immer nur: Wir haben kein Geld und solange das nicht kommt, können wir auch nichts machen. Wir sehen immer nur Probleme und keiner bietet Lösungen oder sieht die Chancen. Wir sollten stattdessen sagen: Wir machen das jetzt. Was kostet das? Was brauchen wir? Und dann können wir zusammen überlegen, wie wir den Weg dahin finden. Es braucht wieder mehr Kreativität und Mut. Das klingt so, als meinten Sie nicht nur den Sport. Sehen Sie darin auch ein gesamtgesellschaftliches Problem? Ja. Lethargie, Mutlosigkeit und auch Spaltungsbereitschaft sehe ich im Allgemeinen. Gerade beim Thema Spaltung müssen die Menschen, die über den nötigen Intellekt verfügen, alles daran setzen, dass das nicht passiert. Und was meinen Sie mit Mutlosigkeit? Mittlerweile will niemand mehr Entscheidungen treffen, weil er Angst haben muss, dafür in der Öffentlichkeit zerrissen zu werden. Selbst wenn jemand alles richtig macht, werden noch Kleinigkeiten gesucht, für die man ihn dann kritisiert. Es ist immer nur die Suche nach Negativem. Das kotzt mich an. Das führt dann dazu, dass jedem Trend nachgerannt wird, statt Stellung zu beziehen. Zum Beispiel? Wir haben beispielsweise wirklich andere Probleme als die Frage, ob wir gendern sollten oder nicht. Wir sollten uns lieber mit den wichtigen Themen dahinter beschäftigen: Frauen verdienen in vergleichbaren Jobs weniger Geld. Das ist ein Thema, über das man reden muss. Aber ob jetzt irgendwo ein „innen“ dahintersteht? Ist das das Problem, das wir in unserer Gesellschaft haben? Wie krank sind wir eigentlich? Sie sprechen auch von Lethargie. Eine angeblich mangelnde Leistungsbereitschaft der Menschen ist immer wieder Teil der öffentlichen Debatte. Sehen Sie die auch? Ja. Viele Bekannte, die Unternehmen haben, sagen mir, dass sie den Laden schließen und in ein anderes Land gehen wollen. Sie sagen: Bob, wir haben keinen Bock mehr, wenn die Leute nicht mehr arbeiten wollen. Wir haben ein Bequemlichkeitsproblem in der Gesellschaft. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Wir müssen alle wieder mehr tun. Und welche Rolle spielen dabei Chefs? Studien zeigen schließlich auch: Wenn Mitarbeiter unmotiviert sind, liegt das nicht selten an schlechter Führung. Wir haben auch ein Führungsproblem, definitiv. Man muss als Vorbild führen. Ein Beispiel: Wenn ich als Trainer nach Auswärtsspielen erst um 4 Uhr morgens wieder zu Hause bin, aber trotzdem immer am nächsten Tag um 7.30 Uhr wieder in der Trainingshalle stehe, dann wird keiner in meinem Team sich darüber beschweren, dass sie zu hart arbeiten müssen. Weil sie sehen: Der Alte macht es auch. Es gibt aber noch etwas anderes, das ganz wichtig ist. Und das wäre? Ich muss mich auch an den Bedürfnissen der zu Führenden orientieren. Bei allen Zielen, die ich verfolge, und allen Erwartungen, die ich habe, muss ich mich fragen, ob das auch richtig verstanden wurde. Wenn ich Fehler mache, muss ich das zugeben, einen anderen Weg einschlagen und dann auch erklären, warum ich diesen neuen Weg einschlage. Es muss jedem klar sein, wie er das, was ich vorhabe und was ich von ihm verlange, auch nutzen kann, um seine Karriere zu gestalten. Dann wird er sagen: Ja, das will ich auch. Was muss sich in Deutschland ändern, damit wir da wieder hinkommen? Ich habe neulich in einem Essay bewusst provozierend geschrieben, dass ich das, was Elon Musk in den USA macht, geil finde. Lassen Sie es mich deutlich sagen: Ich persönlich finde Elon Musk unterirdisch. Was ich aber geil finde, ist, dass sich überhaupt mal wieder jemand hinstellt und neue Denkanstöße gibt. Auch Deutschland muss wieder anders denken. Wir können doch was. Wir sind doch kein Land der Faulenzer und Dummköpfe. Wir haben keine schlechte Gesellschaft. Sie werden in drei Jahren die Geschäftsführung bei den Füchsen abgeben. Wenn man Ihnen so zuhört, klingt es, als käme dann auch eine Karriere in der Politik infrage. Ja, in der Tat. Aber wenn, dann mache ich es kompromisslos. Das ist aber natürlich schwierig. Ich kann es mir zwar vorstellen, aber wahrscheinlich nur themenbezogen. Unter welchen Voraussetzungen würden Sie sich denn für ein Thema engagieren? Ich möchte Dinge immer vom Ende her denken. Also muss ein ganz klares Ziel vorgegeben sein, was erreicht werden soll. Außerdem muss zwischen mir und den Leuten, mit denen ich arbeite, Vertrauen und Ehrlichkeit herrschen. Herr Hanning, vielen Dank für das Gespräch!