Bei den US Open fegen Carlos Alcaraz und Jannik Sinner einmal mehr durch das Feld. Die Konkurrenz verzweifelt – auch ein alter Bekannter. „Du bist so gut, das ist verrückt. Ich bin nicht schlecht, was zur Hölle?“: Als Alexander Bublik Jannik Sinner zu seinem Sieg im Achtelfinale der US Open gratulierte, versuchte er fast verzweifelt in Worte zu fassen, was er gerade erlebt hatte. 1:6, 1:6, 1:6 hatte Sinner die Nummer 24 der Weltrangliste nach Hause geschickt und ihm nicht den Hauch einer Chance gelassen. Einen „Ki-generierten Spieler“ nannte Bublik den Italiener später. Nur zwei Tage später war es Sinners Landsmann Lorenzo Musetti, immerhin die Nummer zehn der Welt, der sich im Viertelfinale eine 1:6, 4:6, 2:6-Klatsche fing. „Jannik war in vielen, vielen Situationen auf einem anderen Level“, sagte er anschließend. „Ich habe ehrlich gesagt nie gegen jemanden gespielt, der mich so unter Druck gesetzt hat.“ Für den Tschechen Jiří Lehečka bot sich ein ähnliches Bild. Er spielte bei den US Open groß auf, schaffte es bis ins Viertelfinale. Auch dort zeigte er begeisterndes Offensivtennis – musste sich Carlos Alcaraz aber 4:6, 2:6, 4:6 geschlagen geben. Die Tennis-Elite verzweifelt an zwei Naturgewalten, die selbst einen der Größten zum Verzweifeln bringen. Die „Big Three“ beherrschten alles Jahrzehntelang war das Tennis in den Händen der sogenannten „Big Three“, bestehend aus Roger Federer , Rafael Nadal und Novak Djoković. Zwischen 2003, als Federer seinen ersten Grand-Slam-Titel gewann, und den US Open 2023, wo Djoković seinen bislang letzten Major-Titel abräumte, dominierten die drei die Tennisszene. In diesem Zeitraum gewannen sie 66 der 81 möglichen Grand-Slam-Turniere und standen zusammen 947 Wochen an der Spitze der Weltrangliste. Spätestens mit dem Rücktritt Federers im Jahr 2022 endete jedoch die „Goldene Ära“ der besten drei Spieler, die der Sport je gesehen hatte. Die Fragezeichen unter Fans und Beobachtern waren groß: Wer würde den Superstars nachfolgen? Würde der Sport ein Zuschauerproblem bekommen, wenn es die Stars nicht mehr gibt? Immerhin hatte die Nachfolgegeneration um Alexander Zverev , Stefanos Tsitsipas oder auch Daniil Medwedew (trotz eines Grand-Slam-Titels) den ganz großen Durchbruch verpasst. Nur wenige ahnten damals, dass zwei „Frühreife“ bereitstanden, um die große Lücke zu füllen. Nur wenige Tage, bevor Federer seine Karriere im September 2022 beendete, hatte ein erst 19-jähriger Alcaraz bei den US Open seinen ersten Grand-Slam-Titel errungen. Auf dem Weg dahin hatte er im Viertelfinale in einem packenden Fünfsatzmatch auch Sinner bezwungen – dass das der Auftakt einer großen Rivalität werden würde, war da noch nicht sicher. Sinner und Alcaraz im Gleichschritt Seither marschieren der Spanier und der Italiener, der seinen ersten Grand-Slam-Triumph bei den Australian Open 2024 folgen ließ, im Gleichschritt durch die Tennis-Welt. Seit Alcaraz‘ Triumph in New York 2022 gingen neun der möglichen zwölf Grand-Slam-Titel an einen von den beiden. Sinner gewann vier, Alcaraz fünf. Dabei lieferten sich beide teils denkwürdige Finalduelle. Erst in diesem Jahr spielten Sinner und Alcaraz bei den French Open eines der spektakulärsten Endspiele der jüngeren Grand-Slam-Geschichte. Sinner gewann die ersten zwei Sätze, im vierten Satz hatte der Italiener schon drei Matchbälle am Stück. Doch Alcaraz wehrte alle ab, schaffte das Comeback und setzte sich schließlich in einem fünften Satz mit zahlreichen Wendungen nach fünfeinhalb Stunden Spielzeit durch. Sowohl Fans als auch der Rest der Tennis-Szene staunten über das Niveau der beiden neuen Superstars. Zumal alle anderen Profis nur wenige Wochen später in Wimbledon erneut allesamt hilflos zuschauen mussten, wie Sinner und Alcaraz durch das Feld pflügten. Erneut bestritten die beiden Ausnahmekönner das Finale – dieses Mal mit dem besseren Ende für den Italiener. Wenn es überhaupt jemanden gibt, der aktuell zumindest annähernd das Niveau von Sinner und Alcaraz erreicht, ist es Novak Djoković. Der letzte verbleibende aktive Part der „Big Three“. Der Serbe ist der einzige Spieler, der nicht den Namen Alcaraz oder Sinner trägt und in den vergangenen drei Jahren noch Grand-Slam-Titel gewinnen konnte. 2023, in seinem bislang letzten großen Jahr, gewann er in Melbourne, Paris und New York noch drei der großen Titel. In Wimbledon musste er sich allerdings in einem packenden Finale geschlagen geben. Sein Gegner: Alcaraz. „Sie sind die besten Spieler der Welt“ Es war wohl eine endgültige Wachablösung. In diesem Jahr erreichte der mittlerweile 38-jährige Rekord-Grand-Slam-Sieger immerhin bei allen Grand-Slam-Turnieren das Halbfinale, strahlt bei den großen Turnieren noch immer eine gewisse Konstanz aus. Doch für das Finale reichte es nicht mehr. Während ihm bei den Australian Open eine Verletzung einen Strich durch die Rechnung machte, zerschellten seine Titelhoffnungen bei den French Open sowie in Wimbledon an Sinner. In beiden Fällen setzte es deutliche Niederlagen für Djoković. Bei den US Open wollte es der Altmeister nochmal nun nochmal wissen, ließ alle Vorbereitungsturniere aus, um möglichst ausgeruht in New York anzutreten. Er wusste: Um Sinner und Alcaraz zu schlagen, braucht er alle verfügbaren Energiereserven. Tatsächlich schaffte es der Serbe wieder einmal ins Halbfinale – und traf dort auf Alcaraz. „Wir müssen nicht über sie reden. Wir wissen, dass sie die zwei besten Spieler der Welt sind“, wusste der Serbe schon vorab um seine Außenseiterrolle. Doch seine Strategie ging auch dieses Mal nicht auf. Mit einem 4:6, 6:7 (4:7), 2:6 setzte es für Djokovic erneute eine deutliche Niederlage. Nur wenige Stunden später zog auch Sinner durch einen Viersatzerfolg gegen Felix Auger-Aliassime ins Endspiel ein. Einmal mehr werden die beiden neuen Naturgewalten des Tennis also in einem Grand-Slam-Endspiel aufeinandertreffen. Die einzigen Fragen, die sich Tennis-Fans aktuell stellen müssen, scheinen zu sein: Wie viele Titel können Alcaraz und Sinner sammeln? Wer gewinnt mehr? Und kann einer von ihnen die Rekorde der alten „Big Three“ angreifen? Es verdeutlicht: Sinner und Alcaraz befinden sich aktuell nicht im Kampf mit den anderen Profis auf der Tour – sondern nur im Kampf mit der Geschichte.