Skispringen: Horst Hüttel nach Predazzo-Stürzen für Anzug-Änderungen

Am vergangenen Wochenende sind drei Skispringerinnen auf den Olympiaschanzen gestürzt. Der Internationale Skiverband steht unter Druck – Änderungen sind wohl unumgänglich. 18. September 2025: Die Österreicherin Eva Pinkelnig will auf der Olympia-Normalschanze in Val di Fiemme beim Sommer-Grand-Prix gerade landen, als ihr linkes Knie nachgibt. Die erfahrene Skispringerin stürzt, schreit und hält sich das Knie, während sie den Auslauf der Schanze hinunterschlittert. Pinkelnig erlitt einen Riss des vorderen Kreuzbandes, Verletzungen am Innen- und Außenmeniskus sowie einen Knorpelschaden. Mit diesem Schicksal auf einer der Olympiaschanzen in Predazzo war die 37-Jährige nicht allein. Genau einen Tag später traf es die Kanadierin Alexandria Loutitt auf der Großschanze. Auch die Partnerin von Skisprung-Star Daniel Tschofenig stürzte und erlitt eine Knieverletzung. Ebenso wie die Nordische Kombiniererin Haruka Kasai auf der Normalschanze. Die Japanerin fällt ihrem Team nun ebenfalls wegen eines Kreuzbandrisses aus. Ein Wochenende, eine Olympia-Anlage, drei leidtragende Athletinnen und die Fragen: Woran lag es und was kann dagegen getan werden? Im Fokus stehen neben den umgebauten Schanzen, auf denen im kommenden Jahr die olympischen Wettbewerbe stattfinden sollen, auch die Anzüge der Athletinnen. Der Internationale Skiverband Fis gerät unter Druck. Änderungen müssen diskutiert werden. „Enorm tragisch für die Athletinnen und den Skisprungsport“ Horst Hüttel, Sportdirektor Weltcup für den Skisprung und die Nordische Kombination beim DSV, sagt t-online: „Ich glaube, dass die Thematik sehr vielschichtig ist. Fakt ist, dass es enorm tragisch für die Athletinnen und den Skisprungsport ist. Alle Verantwortlichen, in erster Linie die Fis, sind gefordert, das ganze Thema intensiv zu beleuchten.“ Denn die Vorkommnisse lassen sich nicht an einem Grund festmachen, vielmehr gibt es mehrere Ursachen und Ansatzmöglichkeiten. Bereits nach dem Sommer-Grand-Prix nannte die Österreicherin Chiara Kreuzer im ORF eine mögliche Ursache für die zahlreichen Unglücke: Die Anzüge der Springerinnen: „Auch wenn wir immer für Gleichberechtigung kämpfen, finde ich, man sollte einen Schritt zurück machen, dass wir ein bisserl gebremst werden und wir harmonischer zur Landung kommen.“ Was sie meint: Die Anzüge der Frauen sind, wie die der Herren, seit dem Sommer sehr eng. Denn nach dem Manipulationsskandal der norwegischen Herren zu Jahresbeginn nahm der Weltverband Regeländerungen vor, um erneute Betrügereien zu verhindern. „Der Ansatz ist richtig. Vor allem auch mit der Person Mathias Hafele“, betont Horst Hüttel bei t-online. Hafele ist der neue Fis-Materialchef. Hüttel führt aus: „Man hat noch keine Erfahrungen gehabt, wie sich der engere Anzug auswirkt. Fakt ist, dass durch die engeren Anzüge die Fluggeschwindigkeit zunimmt und dadurch auch ein höherer Landedruck entsteht, wenn man mit einer höheren Geschwindigkeit zur Landung kommt.“ Enge Anzüge? „Können wir mehr oder weniger in Tonne stampfen“ Für die Athletinnen ist die Landung also nicht mehr so steuerbar wie noch in der vergangenen Saison. Auch die Flugtechnik musste im Sommer auf die neuen Anzüge angepasst werden. Um in Zukunft eine sichere Landung zu gewährleisten, könnte das Anzugvolumen laut Hafele vergrößert oder auch die Schrittlänge angepasst werden. Hüttel betont die verzwickte Lage: „Es ist natürlich ungut, weil es ein Hin und Her ist. Auch für uns als Verbände. Wir haben viel Geld für die neuen Anzüge ausgegeben, die können nicht einfach größer gemacht werden.“ Enger nähen wäre möglich, die Anzüge zu vergrößern sei jedoch eben nicht machbar. „Das heißt, alle Anzüge, die bisher gefertigt wurden, können wir mehr oder weniger in die Tonne stampfen“, so Hüttel weiter. „Es wäre komplett falsch, jetzt nicht zu handeln“ Der frühere Nordische Kombinierer spricht auch die technische Umgewöhnung an, die damit einhergehen würde: „Das ist noch einmal eine zusätzliche Herausforderung für die Athletinnen, aber es wäre komplett falsch, jetzt nicht zu handeln. Noch dazu wäre es für alle Athletinnen das Gleiche. Es ist von der Seite unglücklich und ungut, aber ich persönlich denke, dass man daran nicht vorbeikommt.“ Noch in dieser Woche sollen Maßnahmen besprochen werden. Am Mittwoch starten die Herbst-Tagungen des Internationalen Skiverbandes. Fis-SKisprung-Renndirektor Sandro Pertile sagt auf Nachfrage von t-online: „Das Thema wird in unserer traditionellen Sitzung des Unterausschusses für Ausrüstung und Entwicklung diskutiert. Alle NSA (National Ski Associations, die nationalen Skiverbände, Anm. d. Red.) haben bereits den Vorschlag für eine Anpassung erhalten, wir erwarten weitere Beiträge während der Sitzung.“ Auch Hüttel wird bei den Tagungen dabei sein. Er sagt zur Dringlichkeit der Lage: „Die Meetings waren schon seit Frühjahr geplant, aber dieses Thema wird ganz oben auf der Agenda stehen.“ Der DSV-Sportdirektor betont: „Ich würde mir wünschen, dass es zu den Anzugänderungen kommt. Auch unsere beiden Headcoaches, Heinz Kuttin und Florian Eichinger, für den Skisprung und die Nordische Kombination der Damen würden dies mit ihrer Expertise befürworten.“ „Es gilt, die Schanzenbau-Richtlinien zu hinterfragen“ Zwar müssten sich die Springerinnen dann wieder umgewöhnen. Allerdings hätten alle Athletinnen die gleichen Voraussetzungen. Auch die deutsche Skispringerin Selina Freitag sagte Eurosport am vergangenen Wochenende, dass sie hoffe, dass „sich da bisschen was ändert“. Zudem erklärte Freitag mit Blick auf Predazzo: „Die Schanzen sind sehr schwer zum Landen, und dann die engen Anzüge dazu – das macht es nicht wirklich einfach. Dann muss schon wirklich der Sprung richtig stimmen, um gut zur Landung hinzukommen.“ Hüttel erklärt jedoch, dass die Großschanze aus Sicht der Experten und des DSV als „gut“ eingestuft wird. Anders als die Normalschanze. „Die Normalschanze ist vom Profil her, wie sie derzeit konzipiert ist, nicht modern und nicht gut gelungen. Es ist ein hoher Landedruck vorhanden. Eine moderne Schanze stellt man sich anders vor“, so der Sportdirektor des DSV. Zwar sei die Schanze in die Richtlinien des Internationalen Skiverbandes integriert und man könne den Architekten keinen Vorwurf machen. „Aber es gilt aus meiner Sicht, die Schanzenbau-Richtlinien zu hinterfragen“, regt Hüttel an. Schanzentisch neigen? „Muss die Praxis zeigen“ Selina Freitag bestätigte am vergangenen Wochenende die hohe Anlaufgeschwindigkeit und die Folgen im Anschluss an die schlecht konzipierte Schanze: „Wenn wir mit zu viel Geschwindigkeit in den Hang reinkommen, dann wird es so zäh. Ich hoffe, dass es bisschen sicherer wird“, sagte die 24-Jährige bei Eurosport. Auch wenn nun alle drei gestürzten Springerinnen Kreuzbandrisse erlitten haben, gilt es hier laut Hüttel, Vorsicht bei der Beurteilung walten zu lassen. „Unsere Ärzte meinen, dass bei Kreuzbandverletzungen, egal, ob im Skisport oder im Sommersport sehr häufig auch schon gewisse Vorrupturen vorlagen“, so der DSV-Sportdirektor. Nicht jeder Sturz ist gleich. Der Handlungsspielraum bei Veränderungen an der Schanze ist laut Hüttel gering. Der 57-Jährige erklärt: „Bautechnisch kann man im Hang an der Profilierung nichts mehr vornehmen. Im Winter springen wir auf einer Schneeauflage. Eventuell könnte man diese am Profil modellieren. Diese Gedanken werden auch mit hineinspielen.“ Ebenso der Gedanke, die Neigung des Schanzentisches zu verändern. „Es gibt die Möglichkeit, dass man den Schanzentisch um circa 0,5 Grad flacher gestaltet, was eventuell dazu führen könnte, dass sich die Flugbahn entschärft“, meint Hüttel: „Die Flugkurve würde dadurch flacher werden und man käme dann auch flacher zum Aufsprung. Das muss allerdings erst die Praxis zeigen, wenn darauf gesprungen wird.“ Pertile: „Ergebnisse innerhalb der nächsten 10 Tage auszuwerten“ Und tatsächlich kündigte Pertile an, dass das Profil der Schanzen in Predazzo „voraussichtlich angepasst“ werden müsse. Laut Hüttel nahm die Fis die Vorfälle sehr ernst. t-online erklärt der Fis-Renndirektor Skisprung Pertile zudem: „Wir planen, die Ergebnisse des Testwettkampfs innerhalb der nächsten 10 Tage auszuwerten und gegebenenfalls zu reagieren.“ Die Herren werden von den möglichen Änderungen an der Normalschanze ebenso betroffen sein. Allerdings sind Anzugänderungen bei den Herren wohl erst einmal nicht angedacht, da dort alles gut verlaufen ist und die Physis der Männer beim Springen noch einmal eine andere Rolle spielt. Hüttel bilanziert daher: „Es ist im Moment noch nicht final abzuschätzen, wie sich das Flugverhalten mit den engeren Anzügen auch bei den Männern entwickelt. Aber da wird die Fis auch aufgrund der praktikableren Kontrollierbarkeit dabeibleiben. Das ist auch die Position des DSV.“ Mit Blick auf die Frauen um Freitag und Katharina Schmid ergänzt der DSV-Sportdirektor: „Ansonsten kann man nur hoffen, dass die Änderungen bei den Damen kommen und zum gewünschten Ziel führen.“